- Ventilation
Ventilation (lat., Lüftung; hierzu Tafel »Ventilation« mit Text), Lufterneuerung in geschlossenen Räumen zur Beseitigung der Verunreinigung der Luft, die hervorgebracht wird durch die Produkte der Atmung, der Ausdünstung etc. von Menschen, durch die Produkte der vollständigen oder unvollständigen Verbrennung der Leuchtmaterialien, durch die Tätigkeit der Bewohner etc. Bei der Verunreinigung der Luft durch den Atmungsprozeß kommen vorzüglich die organischen Substanzen in Betracht, die in der ausgeatmeten Luft enthalten sind und sich sehr bald durch den Geruch bemerkbar machen. Diese Substanzen sind quantitativ nicht bestimmbar und man beurteilt deshalb die Beschaffenheit der Zimmerluft nach ihrem Kohlensäuregehalt, da die durch den Atmungsprozeß ausgeschiedene Kohlensäure zu den übrigen Ausscheidungen in einem bestimmten Verhältnis steht. Allgemein macht eine Luft den Eindruck, daß sie verunreinigt sei, sobald der Kohlensäuregehalt durch Atmungsluft 0,7 pro Mille beträgt. Da nun in der freien Luft bereits 0,3 pro Mille Kohlensäure enthalten sind und von einem Erwachsenen stündlich mindestens 18 (bis 30 und mehr z. B. bei angestrengter Arbeit) Lit. Kohlensäure ausgeatmet werden, so müßten in dieser Zeit mindestens 100 cbm Luft pro Kopf und Stunde in einen bewohnten Raum eingeführt werden, wenn die erwähnte Grenze nicht überschritten werden soll. Dabei spielen die nähern Verhältnisse der bewohnten Räume eine große Rolle, Krankensäle erfordern unbedingt eine viel stärkere V. als eine Kirche. Die angegebene Größe des Luftwechsels ist aber in der Praxis durchaus nicht immer erreichbar, und zwar teils wegen konstruktiver Schwierigkeiten, teils weil so starker Luftwechsel in gesundheitlicher Hinsicht leicht Übelstände hervorrufen würde. Man begnügt sich daher oft, statt 0,0007 einen Kohlensäuregehalt von höchstens 0,001 oder 0,0015 anzustreben. Modifiziert wird das Ventilationsbedürfnis außerdem durch die freiwillige V., die ohne weiteres Zutun durch die Poren der Wände, durch Fugen und Risse erfolgt.
Je größer die stündlich einzuführende Frischluftmenge im Vergleich zum Luftraum (Luftkubus) ist, der auf einen Kopf entfällt, mit um so größerer Geschwindigkeit muß die Frischluft in den Raum eintreten, bez. sich darin ausbreiten. Da aber schon geringe Luftströmungen (mehr als 0,3 m) von Menschen als Zug empfunden werden, der abkühlend auf die Haut wirkt, so stehen der Luftkubus und das Maß der stündlichen Lufterneuerung in einem derartigen Zusammenhang, daß jener bei vorgeschriebenem Luftwechsel eine bestimmte Größe nicht unter- und bei gegebenem Luftkubus der Luftwechsel eine bestimmte Größe nicht überschreiten darf. Ein Luftkubus von 10 cbm ist im allgemeinen selbst für Werkstatt- und Fabrikräume, die nur tagsüber benutzt werden, zu gering. Soyka, Hirt und Popper verlangen einen Luftkubus von mindestens 15 cbm, und wenn der Betrieb selbst Luftverunreinigungen bewirkt, einen solchen von 20 cbm.
Durch die künstliche Beleuchtung wird der Kohlensäuregehalt der Luft in bewohnten Räumen ganz erheblich gesteigert; allein hier hat die Kohlensäure keineswegs die Bedeutung wie dort, wo sie lediglich Produkt der Atmung ist, und das Ventilationsbedürfnis würde hier in viel geringerm Maß mit dem Kohlensäuregehalt der Luft steigen, wenn nicht mit intensiver Beleuchtung (abgesehen vom elektrischen Licht) eine so starke Erwärmung verbunden wäre, daß hier mehr als an irgendeinem andern Ort eine kräftige V. geboten erschiene.
Die freiwillige oder natürliche V. ist sehr viel stärker, als man gewöhnlich annimmt. In einem Arbeitszimmer von 75 cbm Rauminhalt wurden bei -1° im Freien und 18° im Zimmer in einer Stunde 75 cbm Luft ausgewechselt; als aber Tür- und Fensterritzen verklebt waren, sank der Luftaustausch unter sonst gleichen Verhältnissen auf 54 cbm. Bei einem Temperaturunterschied von 20° betrug der Luftwechsel 95 und bei 4° Unterschied 22 cbm. Dazu kommt nun überdies der Luftwechsel beim gelegentlichen Öffnen der Fenster und Türen, und man kann daher annehmen, daß unter gewöhnlichen Verhältnissen bei einigermaßen geräumigen Wohnstuben, in denen nicht zu viel Menschen verweilen, eine besondere Ventilationsvorrichtung nicht unbedingt nötig sei. Bei Öffnung eines Fensterflügels von 0,8 qm Fläche stieg der Luftwechsel, der bei einer Temperaturdifferenz von 4° und bei geschlossenem Fenster 22 cbm betragen hatte, auf 42 cbm. Das Öffnen des Fensters wirkte also noch nicht so intensiv auf die Beförderung des Luftwechsels wie bei verklebten Fugen eine Temperaturdifferenz von 19°. Daraus folgt, daß von einer V. durch Fenster und Türen bei vollkommen ruhiger Luft überhaupt nur die Rede sein kann, wenn eine genügende Temperaturdifferenz vorhanden ist, und ferner, daß die Größe des Luftwechsels in gewissem Grade von den Temperaturdifferenzen abhängig ist.
Die überraschende Höhe der freiwilligen V. erklärt sich in erster Linie aus der Porosität der Wände. Die Ventilationsgröße beträgt für 1 qm und 1° R. Temperaturdifferenz in einer Stunde bei Wänden von Sandstein 1,69, Kalkbruchstein 2,32, Backstein 2,83, Kalktuffstein 3,64 und von Lehmstein 3,21 cbm, wobei die größere Durchgängigkeit der Kalkbruchsteinmauern gegenüber den Sandsteinmauern auf Rechnung der verwendeten Mörtelmenge, die bei erstern ungleich größer war, zu stellen ist. Mörtel ist überaus porös, und bei Mauern aus Bruchsteinen fällt ihm der größte Teil der natürlichen V. zu. Die Durchgängigkeit des Mauerwerkes wird wesentlich beeinflußt durch die Art seiner Bekleidung, und zwar in folgender Stufenfolge: Kalkanstrich, Anstrich mit Leimfarbe, ordinäre Tapete, Glanztapete (welch letztere beide die Durchgängigkeit um so mehr verringern, mit je dichterm Klebstoff sie befestigt sind), Ölfarbenanstrich, der in neuem Zustande den Luftwechsel völlig aufhebt. Feuchtigkeit beeinträchtigt die Durchgängigkeit wesentlich, und zwar um so mehr, je enger die Poren des Baumaterials sind. Sehr erheblich beeinflußt ferner der Wind die natürliche V. Bei einigermaßen stark bewegter Luft preßt der Wind, der die Mauer trifft, reichlich Luft in die Zimmer hinein, während die saugende Kraft des Windes zur Geltung kommt, wenn er in bestimmter Richtung die Mauern bestreicht. Die natürliche V. wird erhöht durch die Heizapparate. Der vom Zimmer aus geheizte Öfen entnimmt seinen Luftbedarf dem Zimmer, und auch wenn das Feuer im Ofen erloschen ist, wirkt der warme Schornstein, solange keine Klappe oder luftdichte Ofentür geschlossen wird, saugend. In dem Zimmer, in dem bei 19° Temperaturdifferenz in einer Stunde 75 cbm Luft durch die Zimmerwände eindrangen, stieg der Luftwechsel auf 94 cbm, als unter sonst gleichen Verhältnissen ein lebhaftes Feuer im Ofen brannte. Der Ventilationseffekt des Ofens betrug also 19 cbm und ist mithin fast bedeutungslos, wenn es sich um ein Zimmer handelt, in dem für eine größere Anzahl von Menschen die Luft rein erhalten werden soll. – Weiteres über die künstliche V. s. die beifolgende Tafel mit Text.
Vgl. Pettenkofer, Über den Luftwechsel in Wohngebäuden (Münch. 1858) und Die atmosphärische Luft in Wohngebäuden (in den »Wissenschaftlichen Vorträgen«, Braunschw. 1858); Häsecke, Über V. in Verbindung mit Heizung (Berl. 1877); Ahrendts, Die V. der bewohnten Räume (2. Aufl., Leipz. 1885); Lang, Über natürliche V. (Stuttg. 1877); Stäbe, Preisschrift über die zweckmäßigsten Ventilationssysteme (Berl. 1878); Haase, Die Lüftungsanlagen (Stuttg. 1893); Krieger, Der Wert der V. (Straßburg 1899) und die Literatur bei Artikel »Heizung«.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.