Thun [2]

Thun [2]

Thun (T. und Hohenstein), 1) Friedrich, Graf von, österreich. Staatsmann, geb. 8. Mai 1810, gest. 24. Sept. 1881 in Tetschen, aus einem seit 1629 reichsgräflichen, in Tirol und Böhmen begüterten Geschlecht (vgl. Langer, Mittelalterliche Hausgeschichte der edlen Familie T., Wien 1904 ff.), wurde 1847 Gesandter in Stockholm, 1849 in München, dann bei dem am 9. Mai 1850 eröffneten Kongreß in Frankfurt a. M. und nach Reaktivierung des Bundestags Präsident desselben. 1852 wurde er außerordentlicher Gesandter am preußischen Hofe, 1857–1863 war er Gesandter in St. Petersburg, worauf er den Staatsdienst verließ. 1867 vom Großgrundbesitz in den böhmischen Landtag gewählt und 1879 als erbliches Mitglied ins Herrenhaus berufen, schloß er sich hier mit seinem Bruder Leo (s. unten) der feudalen Partei der Rechten an.

2) Leo, Graf von, österreich. Staatsmann, Bruder des vorigen, geb. 7. April 1811 in Tetschen, gest. 17. Dez. 1888 in Wien, erhielt gemeinsam mit seinen ältern Brüdern eine vorzügliche Erziehung, absolvierte die juridische Fakultät in Prag, machte weite Studienreisen und trat 1836 in den politischen Dienst. Daneben war er eifrig schriftstellerisch tätig, veröffentlichte: »Über den gegenwärtigen Stand der böhmischen Literatur« (Prag 1842), »Die Stellung der Slowaken in Ungarn« (das. 1843). 1845 zur niederösterreichischen Regierung nach Wien versetzt, begleitete er 1846 Stadion als Regierungssekretär nach Galizien, machte dort die Märztage des Jahres 1848 mit, ward 17. April als Gubernialpräsident nach Prag berufen, jedoch schon 19. Juli der Stelle enthoben. Er wandte sich nun wieder schriftstellerischen Arbeiten zu. Nach einem Jahre, 28. Juli 1849, wurde er im Ministerium Schwarzenberg zum Minister für Kultus und Unterricht ernannt. In dieser Stellung machte er sich namentlich um Durchführung der Unterrichtsreform verdient, indem er, unterstützt von Exner und Bonitz, die Gymnasien und die Hochschulen nach deutschem Muster, dasselbe wesentlich verbessernd, organisierte und viele hervorragende Lehrkräfte aus Deutschland berief. Anderseits aber wirkte er als Kultusminister wesentlich zum Abschluß des Konkordats mit. Nach seiner Enthebung, 20. Okt. 1860, war er als lebenslängliches Mitglied des Herrenhauses (seit 1861), in dem er ein Hauptvertreter der klerikalen und feudalen Interessen war, sowie als Abgeordneter des fideikommissarischen Besitzes im böhmischen Landtag, woselbst er sich der mit den tschechischen Föderalisten verbündeten Feudalpartei anschloß, parlamentarisch und politisch eifrig tätig; bei den staatsrechtlichen Verhandlungen des böhmischen Landtags 1865–66 war er Berichterstatter der Majorität. Der Ausgleich mit Ungarn fand in T. einen schroffen Gegner, wie er auch gegen das Ehe- und Schulgesetz von 1868 war. Nach dem Siege der Verfassungspartei über Hohenwart 1871 trat er aus dem böhmischen Landtag aus, in den er erst 1883 wiedergewählt wurde. Vgl. Helfert, Graf Leo T., Lehr- und Wanderjahre in Galizien (im »Österreichischen Jahrbuch«, 1891–93) und Fürst Alfred Windischgrätz und Graf Leo T. in den Prager Junitagen 1848 (Münch. 1886); Frankfurter, Graf Leo T.-Hohenstein, Fr. Exner und H. Bonitz (Leipz. 1895).

3) Franz Anton, Graf von, österreich. Staatsmann, geb. 2. Sept. 1847, ältester Sohn von T. 1), von dem er das Majorat Tetschen erbte, war 1879–1881 im Abgeordnetenhaus Mitglied des Tschechen-Klubs, erbte nach seines Vaters Tode dessen Sitz im Herrenhaus und gehörte hier wie im böhmischen Landtage zu den entschiedensten Verfechtern feudaler und klerikaler Grundsätze und war ein Anhänger der tschechischen staatsrechtlichen Ansprüche. Im September 1889 zum Statthalter von Böhmen ernannt, zeigte er sich, namentlich seit dem bedenklichen Anwachsen der Jungtschechen, gemäßigter und unparteiischer und dem deutsch-böhmischen Ausgleich von 1890 nicht abgeneigt. Als die jungtschechische Agitation eine hochgradige Gärung im Land erzeugte, die schließlich 1893 zu allerlei antidynastischen Ausschreitungen in Prag führte (s. Omladina), befürwortete T. für die Landeshauptstadt und deren Umgebung die Erklärung des Ausnahmezustandes. Als aber bei den Landtagswahlen 1895 die Jungtschechen den Sieg über die alttschechische Partei davontrugen, war Thuns Stellung im Lande unhaltbar geworden; er trat nach dem Schluß des Landtags im Februar 1896 zurück. Dann 5. März 1898 zum Ministerpräsidenten ernannt, brachte er zwar den neuen Ausgleich mit Ungarn zustande, vermochte aber, da er die Badenischen Sprachenverordnungen nicht aufhob, vielmehr die nationalen Ansprüche der Tschechen und Slowenen begünstigte, die Obstruktion der Deutschen im Reichsrat nicht zu überwinden und verkündete daher die verschiedenen Gesetze des Ausgleichs, auch die finanziellen, 1899 auf Grund des Notparagraphen 14 der Verfassung. Da er die den Tschechen gegebenen Versprechungen gegen die Deutschen nicht durchzusetzen vermochte, erhielt T. 2. Okt. seine Entlassung.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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