Begräbnissitten

Begräbnissitten

Begräbnissitten, Die pietätvolle Totenpflege beginnt mit dem Augenblicke des Sterbens, wo man die Fenster öffnet, um der Seele freien Ausflug zu gewähren. Dann folgt die Pflicht der Leichenwaschung, des Haar- und Nägelschnittes, die in alten Zeiten für so wichtig galt, daß die Edda ihre Unterlassung als Zeichen des nahenden Weltunterganges betrachtete. In Süddeutschland wird die männliche Leiche frisch rasiert und mit sonntäglich gestutztem Bart in den Sarg gelegt. Die Bretter, auf denen die Leiche lag, werden in vielen Ländern als Marterln ausgerichtet (s. Leichenbretter). In dem Sarge wurde der Verstorbene mit seinen besten schwarzen Kleidern geschmückt, nur die jungen Männer wurden in Hemdärmeln begraben, weil der beste Rock nach altem Recht (Gewandfall) dem Leibherrn gehörte. Dem Weißzeug wurden die Namen ausgetrennt. Eine besondere Feierlichkeit bildete die Anlegung des Toten- oder Helschuhs (s. Totenbestattung). Die Ringe, besonders der Trauring, durften den Toten nicht genommen werden. Unter die Zunge wurde ihnen eine kleine Münze, der alte Charonsgroschen, gelegt; man nannte ihn später den Nobisgroschen, zum Verzechen im Nobishaus, jetzt die Peterssteuer, die an der Himmelspforte zu entrichten ist. Bei den eingesargten Toten wurde nächtliche Leichenwache gehalten, die in der Schweiz noch jetzt üblich ist, wobei die Gebete mit Essen und Trinken unterbrochen werden. Sonst ist sie meist nur noch bei fürstlichen Toten üblich und wird dann von Soldaten des Leibregiments geleistet. Findet der Leichenzug nicht mit offenem Sarge statt, so bildet nach der Einsargung der Abschied von dem Toten, vor der Zuschraubung des Sarges, einen feierlichen Akt. Die Angehörigen treten nach der Reihe herzu und ergreifen die Hand des Toten. Beim Heraustragen müssen die Füße des Toten vorangehen. Vorher hat in den evangelischen Ländern meist die feierliche Einsegnung im mit Blumen- und Pflanzenschmuck ausgestatteten Zimmer stattgefunden; bei Katholiken erfolgt sie in der Kirche, und es wird die Totenmesse (Requiem) daselbst abgehalten. Vor der Bestattung standen die Verwandten sonst im Hausgange neben dem Sarg und empfingen dort die Beileidsbezeigungen der zum letzten Gange Erschienenen, »sie stehen im Leid«, hieß es von ihnen. Auf dem meist mit Blumen und Laub geschmückten Sarge werden bei Soldaten und höhern Beamten die militärischen und sonstigen Abzeichen befestigt, Orden demselben nachgetragen, oft das Leibpferd mitgeführt. Die Leichenträgerzunft wurde bei besonders zu ehrenden Toten oft durch freiwillige Träger abgelöst, auch Junggesellen und Jungfrauen oft von solchen zu Grabe getragen. Den Zug, der sich meist unter Glockengeläute in Bewegung setzt, eröffnet in katholischen Ländern meist ein Knabe mit dem Totenkreuz, die nächsten Angehörigen gehen hinter dem Sarge, die Frauen sonst in Süddeutschland und der Schweiz in der kirchlich vorgeschriebenen blauen Trauertracht oder wenigstens mit blauen Schürzchen. In Italien, auch in Österreich schreiten zur Seite des Sarges vermummte Kapuziner mit Fackeln (vgl. Gugel). Auf dem Friedhofe wurde der Verstorbene früher von seinen vier nächsten Nachbarn, die das Freienamt übten, dreimal um die Totenkirche des Friedhofs getragen, woselbst auch die Totenkränze und Totenkronen aufgehoben wurden, dann erst erfolgte die Einsegnung am Grabe. Die Bettung der Leiche geschah früher unverbrüchlich mit dem Antlitz nach Osten. Nach der Bestattung werfen die Angehörigen die ersten Hände voll Erde auf den Sarg, als Zeichen, daß sie früher das Grab mit eigner Hand zu graben hatten. Nach einem stillen Gebet ging der Zug dann zum Trauerhause zurück, woselbst zunächst die Leichenträger »abgedankt« und dann das Leichenmahl gehalten wurde, das, früher mit großem Luxus und Kosten ausgerichtet, bald zu Schmausereien und Lustbarkeiten ausartete. Es ist heute fast nur noch auf dem Lande üblich. In den Großstädten, wo jetzt auf den meist weit entfernten Friedhöfen aus hygienischen Gründen Leichenhallen (s. d.) allgemein benutzt werden, sind an Stelle der alten Leichenträgerzünfte Beerdigungsanstalten getreten, die zu bestimmten Preisen die Begräbnisse mit mehr oder weniger Gepränge je nach Orts- und Landessitte ausführen. Unter besondern Formen spielt sich das militärische Begräbnis ab.

Die nicht zahlungsfähigen Armen wurden schon im alten Rom durch einen besondern Beamten, der vespillo hieß, weil er die Bestattung am Abend vornahm, mit möglichster Einfachheit beerdigt. In katholischen Ländern pflegt sie frommen Bruderschaften (meist Kapuzinern) übertragen zu sein. In Großstädten, wo das Proletariat überwiegt, herrschen oft abstoßende Zustände. Selbstmörder durften früher nicht die Haustür passieren, weil sie sonst spuken. Man schlug ein Loch durch die Seitenwand oder unter der Schwelle des Hauses, was hernach wieder zugemauert wurde, und begrub sie ohne Mitwirkung eines Geistlichen außerhalb oder in einer Ecke des Friedhofs in ungeweihter Erde (»unehrliches Begräbnis«; vgl. Begräbnisplatz, S. 563). Gefallene Duellanten mußten nach einem Edikt des Großen Kurfürsten von 1688 durch Henkers Hand auf seinen Karren geladen und auf dem Schindanger bestattet werden. Vgl. Rochholz, Deutscher Glaube und Brauch (Berl. 1867).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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