- Saint-Pierre [3]
Saint-Pierre (spr. ßäng-pjǟr'), 1) Charles Irénee Castel, Abbé de, franz. Philanthrop, geb. 18. Febr. 1658 in St.-Pierre bei Barfleur (Normandie), gest. 29. April 1743, ward Geistlicher, 1695 Mitglied der Akademie, 1702 Beichtvater der Herzogin von Orléans und wohnte 1712 im Gefolge des Kardinals Polignac dem Kongreß von Utrecht bei. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: »Projet de paix perpétuelle« (Utrecht 1713, 3 Bde.); »t Euvres politiques et morales« (Rotterd. 1729, 10 Bde.; das. 1735 bis 1741, 16 Bde.); »Œuvres diverses« (Par. 1729, 2 Bde.) und »Annales politiques de Louis XIV« (das. 1757, 2 Bde.). Weil er das ausschweifende Leben des »großen Königs« öffentlich gerügt hatte, stieß ihn die Akademie 1718 aus; er veröffentlichte hierauf die »Memoires sur l'Académie française«. Vgl. Ringier, Der Abbé de S., ein Nationalökonom des 18. Jahrhunderts (Karlsr. 1905).
2) Bernardin de, ausgezeichneter franz. Schriftsteller, geb. 19. Jan. 1737 in Havre, gest. 21. Jan. 1814 in Eragny (bei Pontoise), genoß eine freie Erziehung, machte früh weite Reisen, immer von dem Verlangen erfüllt, irgendwo seine ideale Republik, wie er sie in der »Arcadie« (Angers 1781) beschreibt, zu gründen, war bald in französischen, bald in russischen Diensten, in Polen, Preußen und auf der Ile de France, aber nirgends ließ ihn sein unruhiger Geist verweilen, bis er endlich 1771, von allen Hilfsmitteln entblößt, sich in Paris niederließ. Sein erstes Werk: »Voyage á l'Isle-de-France« (1773, 2 Bde.), hatte keinen Erfolg, um so größern aber die »Etudes de la nature« (Par. 1784, 3 Bde.), in denen er die Vorliebe seiner Zeit für die Natur und ihren Haß gegen die gesellschaftlichen Mißbräuche auf das glücklichste traf. Von der größten Bedeutung für diese Studien war sein Verkehr mit J. J. Rousseau gewesen, der bis zu dessen Tod ein inniger blieb. Der vierte Band dieser »Etudes« (1787) enthält das unzählige Male ausgelegte, in fast alle Sprachen übersetzte reizende Idyll »Paul et Virginie« (Prachtausgabe von A. France, Par. 1899; deutsch unter andern von Eitner, Hildburgh. 1866; von A. Kaiser, Halle 1887; von Mertens, Hamm 1906; auch Gegenstand der Opern von R. Kreutzer 1791, Le Sueur 1794, Massé 1876 u.a.), das seinen Ruhm so vermehrte, daß er zum Lehrer des Dauphins bestimmt, zum Nachfolger Buffons in der Leitung des Botanischen Gartens gewählt und zum Professor der Moral an die neugegründete Normalschule berufen wurde, Ämter, denen er in keiner Beziehung gewachsen war, und die er bald aufgeben mußte. Er wurde 1795 Mitglied des Instituts und 1798 durch eine Pension von 8000 Frank in sorgenfreie Lage versetzt. Uns widerstrebt die Überschwenglichkeit seines Gefühls und der Schwulst seiner Sprache, aber er bleibt für uns der Hauptvertreter Rousseauscher Ideen. Vortrefflich sind wegen ihrer frischen Natürlichkeit und der seinen Satire die beiden Erzählungen: »La chaumière indienne« (1790) und »Le café de Surate«; die 1796 erschienene Fortsetzung der »Etudes«, die »Harmonies de la nature« (3 Bde.; letzte Ausg., Caen 1904), leidet schon an starker Übertreibung. Von seiner ersten Frau blieben S. zwei Kinder, Paul und Virginie; seine zweite vermählte sich nach seinem Tode mit Aimé Martin, der die »Œuvres complètes« (Par. 1818–20, 12 Bde.), die »Correspondance« (1826, 4 Bde.), die »Œuvres posthumes« (1833–36, 2 Bde.) und die »Romans, contes, opuscules« (1834, 2 Bde.) Saint-Pierres herausgab, in der Biographie (1826) aber ein übertrieben günstiges Bild von ihm zeichnete. Vgl. Prévost-Paradol, Eloge de S. (Par. 1852); A. Barine (Frau Vincens), Bernardin de S. (das. 1891, 2. Aufl. 1904); F. Maury, Etude sur la vie et les œuvres de B. de S. (das. 1892); de Lescure, B. de S. (das. 1892); Souriau, B. de S. d'après ses manuscrits (das. 1904); Ruinat de Gournier, B. de S. et Félicité Didot (das. 1905).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.