Primŭla

Primŭla

Primŭla L. (Primel, Schlüsselblume), Gattung der Primulazeen, ausdauernde Kräuter mit meist wurzelständigen, häufig verkehrt ei-spatelförmigen, ganzrandigen, gezahnten, selten gelappten Blättern, meist doldig oder quirlig angeordneten Blüten auf nacktem, grundständigem Stengel und kugeliger bis fast zylindrischer, fünfklappiger Kapsel. Etwa 140 Arten, meist Hochgebirgsbewohner, in Europa und Asien, wenige in Nordamerika, bilden den ersten (primus, daher der Name) Frühlingsschmuck der Wiesen und Matten. Bei uns sind am häufigsten P. elatior L. und P. officinalis Jacq. (P. veris Sm., Himmels-, Marien-, Petersschlüssel, gelbe Zeitlose), mit gelben Blüten. Die Namen der letztern Art zeugen von der Hochhaltung dieser Pflanze aus altgermanischer Tradition und haben offenbar mythischen Ursprung. Sie galt als heilkräftig und erschließt den Zugang zu verborgenen Schätzen (vgl. Zingerle, Diu zîtelôse, Innsbr. 1884), ihre Blüten wurden früher arzneilich, jetzt nur noch als Hausmittel benutzt; die Wurzel diente sonst als Niesemittel. Beide Pflanzen werden in mehreren gelb, rot, braun, auch gefüllt blühenden Varietäten als Zierpflanzen kultiviert, ebenso Hybriden derselben mit P. acaulis Jacq. Letztere, mit fast wurzelständiger Dolde und auf dem flachen Saume der hellgelben Blumenblätter mit fünf safrangelben Flecken, wächst im Mittelmeergebiet und in Mitteleuropa. Bei manchen Varietäten entwickelt sich der Kelch in der Form der Blumenkrone, so daß zwei gleiche Blumen ineinander zu stecken scheinen. In den Voralpen und Alpen, auf Torfboden und an Felsen findet sich P. auricula L. (Aurikel, Bärohr), mit kurzem Kelch, auf dem Blütenstiel und der Dolde bestäubt und mit schwefelgelben, wohlriechenden Blüten mit flachem Saum. Die Alpenflora ist reich an Primeln, und besonders beliebt ist der blaue Speik (P. glutinosa L., s. Tafel »Alpenpflanzen«, Fig. 3, mit Text), mit kahlen, schmierig-klebrigen Blättern, auf der nickenden Dolde sitzenden, violetten, wohlriechenden Blüten mit abstehendem Saum und schwarzbraunen Hüllblättchen. Sie wächst in den Zentralalpen auf Urgestein. P. farinosa L., mit unterseits weiß bepuderten Blättern und fleischroten Blüten mit gelbem Schlund, ist sehr formenreich und findet sich im arktischen und alpinen Gebiet, aber auch auf moorigen Wiesen der Norddeutschen Ebene. P. auricula (s. Tafel »Darwinismus«, Fig. 17) wurde 1582 durch Clusius in die Gärten eingeführt, zugleich mit der rot blühenden P. pubescens Jacq. (Fig. 19), mit mehlig bestäubten Kelchen, die als Bastard von P. auricula und P. hirsuta All. (Fig. 18) anzusehen ist und bei Innsbruck wächst. In der Mitte des 17. Jahrh. wurden beide besonders in Belgien, Holland, England und Deutschland in mehreren Farbenvarietäten mit Vorliebe gepflegt; in der Folge aber verschwand die beständigere P. auricula wieder vollständig, und P. pubescens allein gab Material zu der aufblühenden Aurikelzucht, die in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrh. ihren Höhepunkt erreichte. Man unterscheidet gewöhnliche, meist einfarbige Aurikeln, Luiker Aurikeln mit verschiedenen Hauptfarben auf einer Blume und englische oder gepuderte Aurikeln. Gegenwärtig ist als Zierpflanze wichtiger P. sinensis Lindl., aus dem südlichen China, mit langgestielten, herz-eiförmigen, 7–9lappigen, eingeschnitten gezahnten Blättern und 30–45 cm hohem Schaft, sprossenden, vielblumigen Dolden, deren immer eine aus dem Zentrum der ersten hervorwächst und meist 3–5 übereinander stehen, und sehr großen, hell lilafarbigen, rosenroten, auch weißen Blüten. Besonders die weißen gefüllten Varietäten sind für die Binderei von großer Bedeutung. Auch P. cortusoides L. aus dem Osthimalaja und Yünnan, die sehr reichblühendeP. obconica Veitch. aus China und P. japonica A. Cyr. (japanische Primel) werden in mehreren Varietäten in Gärten kultiviert. P. obconica hat mehrfach bei Berührung, besonders bei Gärtnern, empfindliche Hautkrankheiten mit beträchtlich gestörtem Allgemeinbefinden hervorgerufen. Die Entzündung der Haut wird durch eine gelblichgrüne Flüssigkeit hervorgerufen, welche die Drüsenhaare an der Oberfläche der Blätter aussondern; es scheint indes eine besondere Disposition erforderlich zu sein, und oft tritt die Krankheit erst mehrere Stunden oder Tage nach der Berührung der Pflanze ein. Ähnliche Erscheinungen rufen auch andere Primeln hervor. Vgl. Kerner, Die Geschichte der Aurikel (Münch. 1875); Pax, Übersicht über die Arten der Gattung P. (Leipz. 1888); Widmer, Die europäischen Arten der Gattung P. (Münch. 1891); Nestler, Hautreizende Primeln (Berl. 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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