Faust, Doktor Georg

Faust, Doktor Georg

Faust, Doktor Georg (nach andern Johannes), berühmter Schwarzkünstler, dessen sagenhaft ausgeschmückte Geschichte, ein Produkt des Reformationszeitalters, in der Literatur eine bedeutsame Rolle spielt. Die historische Person, die den Namen F. trug, lebte von etwa 1480–1539 und läßt sich in den Zeugnissen der Mitlebenden seit 1507 verfolgen. Er stammte, wie Melanchthon berichtet, aus Knittlingen (Kundlingen) in Schwaben und erwarb sich, wie es scheint, eine gelehrte Bildung (vielleicht in Krakau oder in Ingolstadt). Nach einem für F. sehr ungünstig lautenden Briefe des Abtes Trithemius von Sponheim (20. Aug. 1507) befand er sich 1506 und 1507 zuerst in Gelnhausen, dann in Würzburg, zuletzt in Kreuznach, wo ihm von Franz von Sickingen vorübergehend das Amt eines Schulmeisters anvertraut wurde, dessen sich F. jedoch ganz unwürdig erwies. 1513 war er, wie der Kanonikus Mutianus Rufus in Gotha (3. Okt. 1513) mitteilt, in Erfurt, wohin er auf seinen Wanderungen des öftern zurückgekehrt sein muß: nach 1520 wurde er auf Veranlassung des Barfüßermönches Klinge aus dieser Stadt ausgewiesen. 1520 weilte er in Bamberg, wo er vom Bischof Georg III. ein Geldgeschenk für eine ihm gestellte Nativität erhielt. In Heidelberg hielt er sich so lange auf, daß er geradezu als Faustus Hedelbergensis bezeichnet wurde; auch nach Leipzig wird er gekommen sein, kann aber nicht bereits 1525 in Auerbachs Keller (wie die Überlieferung will) seinen Hokuspokus getrieben haben, da Auerbachs Hof, Haus und Keller erst seit 1530 existieren (vgl. Kroker, Doktor F. und Auerbachs Keller, Leipz. 1903). Um die Mitte der 1520er Jahre hielt sich F. in Wittenberg auf, wurde aber auf Veranlassung des Kurfürsten Johann von Sachsen aus der Stadt ausgetrieben, und dasselbe Schicksal ereilte ihn 17. Juni 1528 in Ingolstadt, wie ein Ratsprotokoll dieser Stadt besagt. Besser erging es F. in den 1530er Jahren: vermutlich 1532 fand er (wie Agrippa von Nettesheim) günstige Aufnahme bei Hermann von Wied, dem Erzbischof von Köln; mit Achtung spricht von ihm 13. Aug. 1536 der berühmte Philolog Joachim Camerarius, und ähnlich in einem Briefe vom 16. Jan. 1540 Philipp von Hutten. Dagegen lautet das Zeugnis des Philipp Begardi in dessen 1539 erschienenem »Index Sanitatis« wieder ungünstig; nach ihm war F. bereits tot. Er starb zu Staufen im Breisgau als Mann in vorgerückten Jahren, und zwar, wie viele Zeugnisse erweisen, eines plötzlichen, vielleicht eines gewaltsamen Todes. Dieser historische F. war allen Mitteilungen zufolge ein gewaltiger Prahler, der sich den »Philosophen der Philosophen« und »zweiten Magus« nannte und abenteuernd als Arzt und Astrolog, als Zauberer und Alchimist umherzog. In Würzburg rühmte er sich z. B., daß er alle Wunder Christi vollbringen wolle, wann und so oft es verlangt werde; in Wittenberg: die Siege der kaiserlichen Heere in Ital ien (Schlacht bei Pavia 1525, Eroberung Roms 1527) habe er ihnen durch seine Zauberkunst verschafft etc. Bei dem großen Aufsehen, das er überall erregte, geschah es dann, daß man viele seiner Behauptungen als vollführte Tatsachen hinstellte, daß man außerdem seit alten Zeiten umlaufende Geschichten von Zauberkünsten, wie sie von Simon Magus, Albertus Magnus, Johannes Teutonicus, Paracelsus u. a. erzählt wurden, auf seine Person übertrug und ihm endlich auch neuerfundene, im Geiste der Zeit wurzelnde Züge andichtete. Da aber Zauberei nur mit Hilfe des Bösen möglich war, so ließ man ihn ein Bündnis mit dem Teufel schließen, der ihn in Gestalt eines Hundes begleitete und schließlich auf schreckliche Weise ums Leben brachte. So entstand das, was man die Faustsage nennt. Merkwürdig sind einige Züge, die auf Erfurter Tradition zurückgehen und dort vermutlich um die Mitte des 16. Jahrh. in einer Chronik ausgezeichnet wurden (vgl. Szamatólski im »Euphorion«, Bd. 2, S. 39ff., Bamb. 1895): wenn dort F. die verloren gegangenen Komödien des Plautus und Terenz herbeischaffen will, wenn er Homerische Helden, darunter Polyphem, vorführt, wenn sich sein dienender Geist in ein Pferd mit Flügeln »wie der Poeten Pegasus« verwandelt, so sind das Züge, die deutlich auf den Ideenkreis des Humanismus hinweisen. Interessant sind ferner einige Nürnberger Faustanekdoten, die Ch. Roßhirt um 1575 ausgezeichnet hat (vgl. W. Meyer, Nürnberger Faustgeschichten, Münch. 1895).

Die erste literarische Verwertung der Faustsage ist das 1587 zu Frankfurt a. M. erschienene Volksbuch »Historia von Dr. Johann Fausten, dem weitbeschreiten Zauberer und Schwarzkünstler etc.«, herausgegeben von Johann Spies, der in der Vorrede mitteilt, daß ihm das Manuskript von einem Freund in Speyer zugeschickt worden sei. Dieses älteste Faustbuch (neu hrsg. von W. Braune, mit Bibliographie von Zarncke, Halle 1878; von Scherer, photographische Nachbildung, mit Einleitung, Berl. 1884), das auf eine verloren gegangene lateinische Urschrift zurückgeht, ist neuerdings in einer ältern Fassung aufgefunden worden (»Historia Dr. Johannis Fausti des Zauberers«, nach der Wolfenbütteler Handschrift hrsg. von G. Milchsack, Wolfenb. 1897), die etwa aus dem Jahr 1575 stammt, mehrere bei Spies fehlende Schwänke bietet und zu manchen Berichtigungen beiträgt. Das Faustbuch enthält neben der Zusammenstellung mündlich und schriftlich überlieferter Zauberschwänke (in Betracht kommt dabei insbes. der »Zauberteufel« von L. Milichius, 1563) Auszüge und Entlehnungen aus beliebten naturwissenschaftlichen Handbüchern, den sogen. Elucidarien, aus Seb. Münster, Seb. Franck, H. Schedel, aus Traktaten und Erbauungsbüchern etc.; der Grundzug des Werkes ist streng lutherisch und gegen den sogen. Synergismus (s.d.) der Anhänger Melanchthons gerichtet (vgl. E. Schmidt, F. und Luther, Berl. 1896); F. ist durchweg als das Gegenbild Luthers gezeichnet. Nach dieser Historia war F. der Sohn eines Bauern zu »Rod (Roda) bei Weinmar«, der zu Wittenberg erzogen wurde, Theologie studierte und den theologischen Doktorgrad erlangte, dann ein Weltmensch, Doktor Medicinä, Astrologus, Mathematikus wurde und sich im Spesserwald bei Wittenberg dem Teufel ergab, mit dessen Beistand er allerlei Wunder sah und verrichtete, bis er nach 24 Jahren im Dorfe Rimlich bei Wittenberg nächtlicherweile vom Teufel von einer Wand zur andern geschleudert wurde; andern Morgens fand man ihn mit zerbrochenen Gliedern tot auf dem Mist. Das Buch, das im ganzen nur eine unbeholfene Kompilation ist, enthält doch vereinzelte Züge, die von einer höhern Auffassung des Helden Zeugnis ablegen und ihn mit einer gewissen Größe umkleiden, ohne aber mit der Erfurter Überlieferung übereinzustimmen. F. begehrt nicht nur, Zauberkünste ausführen zu können, er verlangt vom Teufel auch, daß er ihm auf alle seine Fragen, doch nie etwas Unwahrhaftiges antworten soll, d. h. er hat den Trieb nach Wahrheit. Sein Abfall von Gott wird mit der Vermessenheit der himmelstürmenden Giganten und dem Hochmut Luzifers verglichen, und selbst sein »epikureisches Leben« erhält eine Art von Größe und gereicht ihm zur Befriedigung seines Wissensdranges: das schönste Weib, die griechische Helena, die er heraufbeschwört, wird seine Genossin, und der Knabe, den sie ihm gebiert, verkündet ihm viele zukünftige Dinge, die in allen Ländern geschehen sollen.

Nachdem die Geschichte Fausts so in die Literatur eingeführt war, fand sie durch Nachdrucke, neue Auflagen und Bearbeitungen rasch die allgemeinste Verbreitung. Noch 1587 erschien das Spiessche Faustbuch (von dem bis 1592: 14 Drucke nachgewiesen sind) in zweiter Auflage mit acht neuen Kapiteln; 1588 in dritter Auflage, bereichert durch Zeugnisse der Heiligen Schrift von den verbotenen Zauberkünsten. Auch ins Niederdeutsche wurde es übertragen (Lübeck 1588). Eine Ausgabe von 1589 brachte dann abermals sechs neue Kapitel, von denen eins auf einer Leipziger Tradition (Auerbachs Keller, s. oben) beruht, die übrigen die in Erfurt spielenden Geschichten mitteilen. Eine Bearbeitung des Buches in Reimen, von Tübinger Studenten ausgeführt, war bereits 1588 zu Tübingen u. d. T.: »Eine wahrhafte und erschröckliche Geschicht von D. Johan Fausten« erschienen, und durch Übersetzungen ins Englische (o. J., wahrscheinlich 1588), Niederländische und Flämische (1592) und Französische (1598 u. ö.) fand es auch im Ausland Verbreitung. Bald darauf aber wurde das Spiessche Faustbuch verdrängt durch eine neue Bearbeitung des Stoffes, die G. Rud. Widmann 1599 zu Hamburg in drei Teilen erscheinen ließ (abgedruckt in Scheibles »Kloster«, Bd. 2, Stuttg. 1846). In diesem Werke sind die großen Züge verwischt; der Verfasser, ein eifriger Lutheraner zu Schwäbisch-Hall, erlaubt sich tendenziöse Veränderungen (wie er denn F. auf einer katholischen Universität, zu Ingolstadt, studieren läßt) und sucht in pedantisch-gelehrten Anmerkungen, platten Ermahnungen und Warnungen, die er jedem Kapitel beifügt, seine Stärke. Das Widmannsche Faustbuch gab in der Folge der Nürnberger Arzt Nikol. Pfitzer mit Veränderungen neu heraus (Nürnb. 1671; Neudruck von A. v. Keller, Stuttg., Literarischer Verein, 1880), und aus diesem Werke stellte endlich ein Autor, der sich den »Christlich Meynenden« nannte, und der wahrscheinlich Christoph Miethen hieß (vgl. Minor in der »Zeit«, Bd. 3, S. 38; 1896), durch Beseitigung des gelehrten Beiwerkes und sonstige Abkürzungen einen Auszug her (erste nachweisbare Ausgabe Frankf. u. Leipz. 1725, Neudruck von Szamatolski, Stuttg. 1891), der oft gedruckt, auch modernisiert wurde und mehreren von den zahlreichen Jahrmarktsbüchern vom Doktor F. zugrunde liegt. Unter den Neuerzählungen ist Aurbachers (s.d.) »Geschichte des Doktor Faustus« (im »Volksbüchlein«, Münch. 1839) auszuzeichnen.

Sehr früh begannen auch die selbständigen poetischen Bearbeitungen der Faustsage. Nach verbreiteter Annahme, der sich auch CreizenachVersuch einer Geschichte des Volksschauspiels vom Dr. F.«, Halle 1878) anschließt, entsprang aus der englischen Übersetzung des Volksbuches Marlowes Tragödie »The tragical history of the life and death of Doctor Faustus«, und sie bildet die Grundlage des deutschen Volksstückes; nach BruinierUntersuchungen zur Entwickelungsgeschichte des Volksschauspiels vom Dr. F.«, in der »Zeitschrift für deutsche Philologie«, Bd. 29–31, Halle 1897–99) gab es das Volksstück bereits, bevor das Spiessche Volksbuch erschien, und Marlowe hätte dieses letztere und zugleich das deutsche Faustspiel benutzt, das ihm durch die Englischen Komödianten (s.d.) bekannt geworden wäre. Bei Marlowe findet sich bereits der Eingangsmonolog, in dem F. den Wissenschaften, die ihn nicht befriedigen, den Rücken kehrt und sich der Magie ergibt. Dieser Eingang sowie die Beschwörung der Geister, der Vertrag und am Ende der hochpoetische Schlußmonolog des zwischen Trotz und Seelenangst hin und her geworfenen Helden sind glänzende und effektvolle Züge der Tragödie, deren übriger Inhalt zum großen Teil aus einem Haufen von Abenteuern ohne organische Gliederung besteht. Das deutsche Volksstück wurde bis über die Mitte des 18. Jahrh. von wandernden Schauspielern allenthalben in Deutschland gespielt, bis es von der wirklichen Bühne verdrängt und in die Sphäre der Puppenspiele verbannt wurde, wo es noch heute sein Dasein fristet. Wie das Marlowesche Stück weist es den (allerdings stark verballhornten) Anfangsmonolog (der sich bis auf Goethe vererbte) und die Beschwörungsszene auf; doch stellt es den Wissensdrang Fausts, der als Wittenberger Professor figuriert, wieder entschiedener in den Vordergrund. Abweichend von Marlowe sind ein Vorspiel in der Hölle zwischen Luzifer und verschiedenen Luft-, Sauf-, Geiz- und andern Teufeln, sodann in der Beschwörungsszene die Frage Fausts nach dem geschwindesten der Dämonen, wobei Mephistopheles als so geschwind »wie der Menschen Gedanken« den Sieg davonträgt (ein Zug der Erfurter Tradition); endlich am Schluß die Umgestaltung der Helenaszene, wodurch das tragische Geschick des Helden eine tiefere Motivierung und das ganze Stück eine wirksame Steigerung erfährt. Nachdem nämlich Mephisto den von Reuegedanken ergriffenen F. vergeblich durch die Aussicht auf Macht und irdischen Glanz wieder an sich zu locken versucht hat, führt er ihm die Helena zu, deren Schönheit F. überwältigt und von der Buße abzieht; als er sie aber umarmen will, verschwindet sie, und F., dessen Frist eben verstrichen ist, verfällt dem Teufel. Im Laufe der Zeit spielte die lustige Person in dem Volksstück eine immer bedeutendere Rolle und trat in einen parodistischen Gegensatz zu dem himmelanstrebenden Faust. Besonders war dies seit dem Anfang des 18. Jahrh. auf dem Wiener Theater der Fall. Ausgaben des Volksschauspiels, das noch in verschiedenen Fassungen vorliegt, besorgten v. Below (anonym, »Doktor F. oder der große Negromantist«, Berl. 1832; nach dem Manuskript des Marionettenspielers Geißelbrecht), W. Hamm (anonym, »Das Puppenspiel vom Dr. F.«, Leipz. 1850; nach dem Manuskript des Marionettenspielers Bonneschky), O. Schade (Weim. 1856), K. Engel (Oldenb. 1874; 2. Aufl., das. 1882; von Bruinier, »Faust vor Goethe«, Bd. 1, Halle 1894, als Fälschung erwiesen), Bielschowsky (»Das Schwiegerlingsche Puppenspiel vom Dr. F.«, Brieg 1882), Lübke (»Zeitschrift für deutsches Altertum«, Bd. 31), Tille (Oldenb. 1890), Kralik (Wien 1895). Die vorhandenen Puppenspiele beruhten fast durchaus auf der spätern (Wiener) Konzeption; nur ein einziges, ein Ulmer Stück (abgedruckt in Scheibles »Kloster«, Bd. 5), hat den Charakter des 17. Jahrh. treu bewahrt. Merkwürdig sind auch die tschechischen Bearbeitungen (hrsg. von E. Kraus, Bresl. 1891) und die Umdichtungen von SimrockDr. Johannes F., Puppenspiel in 4 Aufzügen«, Frankf. a. M. 1846; 3. Aufl.: »F. Das Volksbuch und das Puppenspiel etc.«, Basel 1903) und E. Mentzel (»Das Puppenspiel vom Erzzauberer Dr. Johann F.«, Frankf. 1900).

Unter den spätern Bearbeitern der Faustsage tritt uns zunächst Lessing entgegen, der das Volksstück für die regelmäßige Bühne zu gewinnen beschloß; leider sind von seinem »F.«, zu dem er um 1759 zwei Pläne entworfen, nur einzelne Szenen vorhanden. Nach Lessing und noch vor Goethe (wenigstens vor der Publikation des ersten Fragments seiner in den ersten 70er Jahren begonnenen Faustdichtung) verarbeitete ein Wiener, P. Weidmann, den Stoff zu einem elenden »allegorischen« Drama: »Johann F.« (Münch. 1775; Neudruck, Oldenb. 1877), mit Einheit der Zeit und des Ortes, worin er dem bösen Genius einen guten Geist, Ithuriel, gegenüberstellt, der endlich dem Sünder Gottes Barmherzigkeit verschafft. Fast gleichzeitig veröffentlichte Maler Müller Bruchstücke aus einem dramatisierten Leben Fausts: »Situation aus Fausts Leben« (Mannh. 1776) und »Fausts Leben« (das. 1778, unvollendet), während ein andrer Dramatiker der Geniezeit, Klinger, den Stoff nicht als Drama, sondern als Roman: »Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt« (Petersb. 1791), behandelte, worin F. mit dem Mainzer Buchdrucker Fust vermengt und durch eine Reihe eigner und fremder, bewußter und unbewußter Schandtaten der Hölle zugeführt wird. Auf Klinger folgten Julius Graf von Soden mit einem Volksschauspiel »F.« (Augsb. 1797), in dem F. als Tyrannenfeind und Patriot auftritt, sich tapfer gegen die aufrührerischen Bauern benimmt, schließlich aber doch vom Teufel geholt wird, und Friedrich Schink, ein leidenschaftlicher Antiromantiker, der sich in seinem »Johann F. Eine dramatische Phantasie« (Berl. 1804) der Auffassung Weidmanns anschloß. Eine neue, tief in das Bewußtsein des Volkes übergegangene Auffassung gewann dann die Faustsage durch die mächtige und tiefsinnige Dichtung Goethes, die den Dichter sein ganzes Leben hindurch beschäftigte. Ein Bruchstück des ersten Teils erschien 1790, das ganze 1808, während der zweite erst nach des Dichters Tode 1832 aus Licht trat. Goethe hat in diesem seinem bedeutendsten Werke die Person des F. in eine höhere geistige Sphäre gerückt und die Tragödie des alten Magiers zur Tragödie des strebenden Menschengeistes und des Menschenschicksals überhaupt gemacht; wie schon Lessing wollte, läßt er den nach Erkenntnis und Wahrheit Ringenden nicht dem Bösen verfallen, sondern schließlich Rettung finden. Fast gleichzeitig mit dem Goetheschen »F.« (1. Teil) erschien auf Grund des Klingerschen Romans eine klägliche »romantische Tragödie« gleichen Namens von Schöne (Berl. 1808), der später auch das Wagnis einer Fortsetzung von Goethes »F.« (das. 1823) unternahm; ebenso erinnert Klingemanns »F.«, ein geschickt hergestelltes und lange Zeit beliebtes Bühnenstück (Leipz. 1815), vorzugsweise an Klinger und das Volksschauspiel. Weiter sind anzuführen: das Trauerspiel »F.« von Julius v. Voß (Berl. 1824), wo der Held wieder identisch mit Fust, dem Miterfinder der Buchdruckerkunst, ist, und das Melodrama »F., der wundertätige Magus des Nordens« von K. v. Holtei (Wiesb. 1832). Vgl. Warkentin, Nachklänge der Sturm- und Drangperiode in Faustdichtungen des 18. und 19. Jahrhunderts (Münch. 1896). Das Erscheinen des zweiten Teiles von Goethes »F.« hinderte nicht, daß noch andre Fortsetzungen hervortraten, die z. T. Unglaubliches bieten, so von J. D. Hoffmann (Leipz. 1833), S. Moser (Weißenb. 1864), Adolf Müller (Leipz. 1869). Auch Parodien auf den Goetheschen »F.« erschienen, von denen hier Vischers »F., der Tragödie dritter Teil« (Stuttg. 1862, 4. umgearbeitete Aufl. 1889) genannt sei. Eine Gruppe andrer Dichter strebte selbständige philosophische Behandlung der Sage an, ohne diese Prätension rechtfertigen zu können, z. B. Braun v. Braunthal (Leipz. 1835), Marlow (F. Wolfram, das. 1839), Czilsky (Halle 1843), F. Stolte (»F., dramatisches Gedicht in vier Teilen«, Leipz. 1860 u. 1869). Wirklich eigentümliche Motive weisen die Dichtungen von GrabbeDon Juan und F.«, 1829) und H. HeineDoktor F., ein Tanzpoem«, 1851) auf. Endlich treten auch in epischer Form selbständige, z. T. wertvolle Behandlungen hervor, aus deren Zahl wir nur N. Lenaus »F.« (1836) hervorheben wollen. Schließlich sei auch noch an die Volkslieder vom Dr. F. erinnert, deren eines in »Des Knaben Wunderhorn« (Bd. 1) als fliegendes Blatt aus Köln mitgeteilt wird, und von dem sich Anklänge in mehreren Versionen des Volksstückes finden (vgl. Tille, Die deutschen Volkslieder vom Dr. F., Halle 1890). Zu Operntexten wurde die Faustsage verarbeitet von Bernard (1814, komponiert von Spohr) und den Franzosen Barbier und Carré (1859, komponiert von Gounod), von Boito (1868), H. Zöllner (1887). Von musikalischen Bearbeitungen sind neben den Musiken zu Goethes Drama vom Fürsten Radziwill und C. Lassen noch bemerkenswert das Chorwerk von Rob. SchumannSzenen aus Goethes. Faust'«); Faustsymphonien komponierten Liszt und Berlioz, eine »Faustouvertüre« Rich. Wagner. Auch die bildende Kunst hat sich mannigfach mit Fausts Leben beschäftigt. Bekannt ist Rembrandts schön radiertes Blatt, F. darstellend in seinem Zimmer während einer Geistererscheinung. Noch älter sind die beiden Kupferstiche von Christoph von Sichem, die F. und Mephistopheles und den Famulus Wagner nebst seinem Geiste vorführen; aus neuerer Zeit Darstellungen zu Goethes F. von Cornelius, Retzsch, Seibertz, Kaulbach, Kreling und Liezen-Mayer. Vgl. Düntzer, Die Sage vom Doktor F. (Stuttg. 1846); Faligan, Histoire de la légende de F. (Par. 1888); Witkowski, Der historische F. (in der »Deutschen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft«, neue Folge, Bd. 1, 1897); Kuno Fischer, Goethes F., Bd. 1: »Die Faustdichtung vor Goethe« (4. Aufl., Stuttg. 1902). Eine Zusammenstellung der Zeugnisse über die Faustsage enthält A. Tille, Die Faustsplitter in der Literatur des 16.–18. Jahrhunderts (Berl. 1900), eine »Zusammenstellung der Faustschriften« gibt K. Engel (Oldenb. 1885, 2714 Nummern enthaltend).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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