Ehestatistik

Ehestatistik

Ehestatistik, derjenige Teil der Bevölkerungsstatistik, der sich mit Erhebungen über die Verehelichungs- (Heirats-, Trauungs-) Ziffer, Dauer der Ehen, deren Lösung durch Tod oder Scheidung, über Alter, Familienstand, Religionsbekenntnis und Verwandtschaftsverhältnis der Eheleute, dann mit Zählung der Trauungen nach Monaten befaßt. Die E. geht in einzelnen Staaten bis in den Anfang des 18. Jahrh. zurück. Allerdings begnügte man sich früher zumeist mit der Feststellung der Zahl der Eheschließenden, ohne die persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Die heutige Statistik sucht außer der Gesamtzahl der Eheschließungen auch Alter, Familienstand und Konfession der Brautleute sowie die Jahreszeit der Eheschließung zu erfassen. Die absolute Zahl der jährlichen Eheschließungen und deren Verhältnis zur Gesamtbevölkerung bezeichnet man als (allgemeine) Heiratsziffer. Für das Deutsche Reich ergeben sich diesbezüglich folgende Zahlen:

Tabelle

In den Hauptstaaten betrug die Anzahl der Eheschließungen auf 1000 Einwohner:

Tabelle

Einen korrektern Maßstab jedoch gewinnt man, sobald man die Zahl der Heiratenden mit der Zahl der Heiratsfähigen vergleicht (besondere Heiratsziffer), da ja nur der noch unverheiratete Teil der Bevölkerung für die Eheschließung in Betracht kommt. Für das Verhältnis der Heiratsfähigen und Eheschließungen zur Gesamtbevölkerung ergibt sich im Durchschnitt der Jahre 1871–85 folgendes Bild. Es entfallen auf 1000 Einwohner:

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Aus den Zahlen der obigen Tabellen ergibt sich 1) daß länderweise nicht unerhebliche Unterschiede hinsichtlich der Zahl der jährlichen Eheschließungen vorkommen, was sich außer aus der ökonomischen Lage der Bevölkerung auch aus den nationalen Eigentümlichkeiten, aus dem wirtschaftlichen Charakter des Landes und den Rechtsverhältnissen (Erschwerung der Eheschließung etc.) erklärt; 2) daß im großen und ganzen die Heiratsfrequenz zunimmt. Im Deutschen Reich insbes. zeigt sich seit 1881 (früher größere Schwankungen!) ein regelmäßiges Anwachsen, was man wohl als Folge einer Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse anzusehen berechtigt ist.

Bekannt ist, daß teils infolge natürlicher Einflüsse (namentlich auf dem Lande), teils infolge sozialer Verhältnisse (Sitte, Herkommen, kirchliche Satzungen) die Eheschließungen sich sehr ungleich auf die einzelnen Monate verteilen. So entfielen im Deutschen Reich bei einem Tagesmittel von 1000 Eheschließungen in den Jahren 1872–90 auf den Januar 955, Februar 1170, März 610. April 1069, Mai 1249, Juni 918, Juli 841, August 684, September 906, Oktober 1307, November 1525, Dezember 766 Eheschließungen.

Über die Zahl der ledigen, verheirateten, verwitweten und geschiedenen Männer und Frauen in einer größern Anzahl von Ländern gibt die folgende Tabelle Aufschluß.

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Was den Familienstand der Heiratenden anlangt, so sind von 100 derselben durchschnittlich 80–90 Junggesellen, 86–95 Jungfrauen; der Rest entfällt auf die Witwer, bez. Witwen und die Geschiedenen. Doch herrschen bedeutende Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Von 100 heiratenden Männern sind Junggesellen in Ungarn 79,6 (verwitwet u. geschieden 20,4), Österreich 82,6 (17,4), Schweiz 85,1 (14,9), Bayern 86,0 (14,0), Sachsen 86,2 (13,8), Preußen 87,8 (12,2), Italien 87,9 (12,1), Frankreich 89,5 (10,5), England 88,3 (11,7), Schottland 88,8 (11,2), Irland 89,1 (10,9), Schweden 89,7 (10,3). Von 100 Heiratenden weiblichen Geschlechts sind Jungfrauen (bez. Witwen und Geschiedene) in Ungarn 86,1 (13,9), Österreich 89,6 (10,4), Schweiz 91,0 (9,0), Sachsen 91,2 (8,8), Preußen 92,0 (8,0), Bayern 92,4 (7,6), England 91,8 (8,2), Frankreich 92,7 (7,3), Italien 93,3 (6,7), Schottland 94,3 (5,7), Irland 94,9 (5,1), Schweden 95,6 (4,4). Es wird hier zahlenmäßig die auch sonst bekannte Tatsache bestätigt, daß Witwer häufiger zu einer zweiten Ehe schreiten als Witwen. Weitaus am häufigsten sind überall erste Ehen, d.h. solche zwischen bisher Ledigen. Im Deutschen Reich waren 1901 bei 468,329 Eheschließungen in 420,902 Fällen die Männer, in 438,819 die Frauen ledig, in 43,610 Fällen die Männer, in 25,528 die Frauen verwitwet, in 3817 Fällen die Männer, in 3982 die Frauen geschieden, so daß die erstmaligen Chen 86,5 Proz. aller Eheschließungen betragen.

Große Unterschiede bestehen zwischen den einzelnen Ländern hinsichtlich des Alters der Eheschließenden, wie aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich ist.

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Hier spielt das frühere oder spätere Eintreten der Geschlechtsreife je nach den klimatischen Verhältnissen, innerhalb der einzelnen Staaten auch die Verschiedenheit der wirtschaftlichen Verhältnisse eine wesentliche Rolle.

In England werden 51 Proz. aller Ehen seitens der Männer vor dem 25. Lebensjahr geschlossen, was vielleicht dem Nationalreichtum und dem Fehlen der allgemeinen Wehrpflicht zuzuschreiben ist. Besonders zahlreich sind Verheiratungen unter 20jährigen Frauen in Ungarn (36 Proz.) und Österreich (18 Proz.). Die Sitte des späten Heiratens erhöht, wie es scheint, die Zahl der unehelichen Geburten, und da die Lebensfähigkeit der unehelichen Kinder geringer ist als die der ehelichen, so erhöht spätes Heiraten auch die allgemeine Sterblichkeit. Das Heiratsalter der Frauen entspricht nicht immer demjenigen der Männer. Dies zeigt sich besonders deutlich in England, wo vielleicht die spätere physische Entwickelung des Weibes das frühe Heiraten verbietet. Hier beträgt der durchschnittliche Altersunterschied der Ehegatten nur 2,0 Jahre; in Preußen dagegen 2,5, Bayern 3,1, Württemberg 3,7, Ungarn 3,6, Frankreich 3,6, Österreich 4,0, Italien 4,9 Jahre. Die Zahl der Mischehen, d.h. der Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Konfession, ist im Wachsen begriffen. Während in Deutschland 1871–75 die Mischehen nur 6,27 Proz. aller Ehen betrugen, stieg diese Zahl 1890 auf 8,10 Proz.; 1895 betrug sie 8,19, 1896: 8,76, 1897: 8,88, 1898: 8,85, 1899: 8,84, 1901: 8,76. Vgl. Rubin und Westergaard, Statistik der Ehen auf Grund der sozialen Gliederung der Bevölkerung. Nach Volkszählungen u. Kirchenbüchern in Dänemark (Jena 1890); »Stand und Bewegung der Bevölkerung des Deutschen Reichs und fremder Staaten in den Jahren 1841–1886«, Bd. 44 (neue Folge) der »Statistik des Deutschen Reichs« (Berl. 1892); »Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reichs« (das. 1903); Zahn, Artikel »Heiratsstatistik« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 2 (2. Aufl., Jena 1900). Vgl. auch die Literatur zum Artikel »Bevölkerung«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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