- Seiltrieb
Seiltrieb, Verbindung von Radern (Seilscheiben) durch umgelegte, endlose Seile derart, daß eine Bewegungs- und Kraftübertragung zwischen diesen und den zugehörigen Wellen möglich ist. Das Material für Treibseile ist Hanf (italienischer Hanf, badischer Schleißhanf, Manilahanf), Baumwolle, Eisen- und Stahldraht. Der S. ist ein indirekt wirkendes Reibungsrädergetriebe. Zwischen Seil und Scheibenumfang bildet die Reibung die mitnehmende Kraft. Alle im Artikel »Riementrieb« gegebenen Erläuterungen über die nötige Größe des Reibungswiderstandes zwischen Riemen und Scheibenumfang, über die Erzeugung der Reibung, über die Spannungsverhältnisse in den beiden zwischen zwei Scheiben ausgespannten Riementeilen (ziehendes oder führendes, gezogenes oder geführtes Trum) etc. gelten sinngemäß auch hier.
Der Kranz der Seilscheiben ist mit Rillen versehen, in denen die Seile laufen. Für Hanf- u. Baumwollenseile sind die Rillen der gußeisernen Scheiben fast ausnahmslos keilförmig gestaltet (Fig. 1), so daß das Seil zwischen ihren Seitenflächen eingeklemmt ist, wodurch ein großer Reibungswiderstand zwischen Seil und Scheibenumfang erreicht wird. Bei Drahtseilen ist der gußeiserne Scheibenkranz mit einer Ausfütterung aus Leder, Guttapercha, seltener Holz, versehen (Fig. 2), und das Seil liegt auf dem Grunde der Rille auf. Mit Rücksicht auf die erforderliche Biegsamkeit des Seiles soll der Seildurchmesser ein gewisses Maß nicht überschreiten (55 mm bei Hanf- und Baumwollenfeilen, 37 mm bei Drahtseilen mit Drahtstärken von 1–2 mm). Bei Übertragung größerer Kräfte läßt man, hauptsächlich bei Hanfseiltrieben, unter Benutzung mehrrilliger Scheiben eine Anzahl Seile nebeneinander laufen. Die Seilenden werden verbunden durch Ineinanderflechten (Verspleißen) der Litzen, bez. Drähte des Seiles, auf eine Strecke von 1,5–2 m. Die Scheibenentfernung liegt in der Regel bei Hanfseilen zwischen 6 und 25 m, bei Drahtseilen zwischen 16 und 125 m. Der S. wird in der Regel nur für parallele Achsen ausgeführt, ist unter Verwendung von Leitrollen aber auch für sich schneidende und geschränkte Achsen möglich. Für Triebwerksanlagen im Freien eignen sich besonders Drahtseile. Die Haltbarkeit der Seile wird erhöht durch Verwendung geeigneter Seilschmiere.
Die zur Übertragung einer gegebenen Kraft nötigen Spannungen im Seile werden bei dem Hanf- und Baumwollenseiltrieb durch eine Dehnung wachgerufen oder mit Hilfe einer Spannrolle erzeugt, wonach sich der S. mit Dehnungsspannung, bez. mit Belastungsspannung ergibt (s. Riementrieb). Bei letzterer Anordnung wird ein einziges in sich geschlossenes Seil benutzt, das man so oft um die beiden Scheiben schlingt, als sonst einzelne Seile erforderlich wären, und dann, nötigenfalls unter Zuhilfenahme von Leitrollen, um eine Spannrolle führt, die ihrerseits auf einem Wagen oder Schlitten gelagert ist, der durch ein Belastungsgewicht gezogen wird.
In Fig. 3 ist a die Spannrolle mit dem Wagen, b das Belastungsgewicht. In ähnlicher Weise können auch von einer treibenden Scheibe mehrere getriebene Scheiben bewegt werden (Kreisseiltrieb). In Fig. 4 sind a die treibende Scheibe, b und c die getriebenen Scheiben, d zwei hintereinander liegende Leitrollen, e die Spannrolle mit Belastungsgewicht.
Nach jeder Umschlingung einer getriebenen Scheibe ist das Seil nach der treibenden Scheibe zurückgeführt. Beim Drahtseiltrieb werden die nötigen Seilspannungen fast ausschließlich durch das Eigengewicht des in einer Kurve (Kettenlinie) zwischen den Scheiben durchhängenden Seiles hervorgerufen. Die Größe der Einsenkung ist abhängig von der Spannung des Seiles und von der Entfernung der beiden Scheiben. Werden bei großer Scheibenentfernung die Einsenkungen mit Rücksicht auf örtliche Verhältnisse etc. zu groß, dann muß das Seil durch Tragrollen unterstützt werden, oder man schaltet Zwischenstationen mit zweirilligen Scheiben ein. Befinden sich beide Scheiben in verschiedener Höhe, dann entsteht der schiefe S. Der Drahtseiltrieb (1850 von den Gebrüdern Hirn erfunden) hat früher zur Kraftübertragung auf größere Entfernung (s. Kraftübertragung und -Verteilung, S. 554) in großartigen Ausführungen mehrfach Anwendung gefunden. Durch die erfolgreiche Einführung der elektrischen Kraftübertragung ist er jetzt fast ganz verdrängt. Dünne Seile (aus Hanf, gedrehten Lederriemen, Därmen, bei kleinen Werkzeugmaschienen bisweilen benutzt) werden als Schnur bezeichnet, wonach sich die entsprechenden Benennungen Schnurtrieb, Schnurscheibe ergeben. Vgl. Reuleaux, Der Konstrukteur (4. Aufl., 4. Abdruck, Braunschw. 1899); Bach, Die Maschinenelemente (9. Aufl., Stuttg. 1903, 2 Bde.); Rebber und Pohlhausen, Berechnung und Konstruktion der Maschinenelemente (6. Aufl., Mittweida 1905).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.