Austritt aus der Kirche

Austritt aus der Kirche

Austritt aus der Kirche. Die evangelische Kirche, die den Austritt eines Christen aus ihrer Gemeinschaft für zulässig erachtet, obwohl sie ihn mißbilligt, steht auf einem mildern Standpunkt als die katholische Kirche, die den A. als strafbar (vgl. Apostasie) und unwirksam betrachtet, indem sie der Taufe eine unauslöschliche Wirkung beilegt und demzufolge auch die Abtrünnigen noch als ihr zugehörig und unter ihrer Gewalt und Disziplin stehend ansieht. Der Staat erkannte ursprünglich den Standpunkt der katholischen Kirche als maßgebend an. Dies änderte sich mit der Reformation (s. d.). Seit 1624 war der Übertritt bereits zulässig, aber nur zu einem christlichen Bekenntnis, das in dem betreffenden Territorium zu jener Zeit zur Religionsübung zugelassen war. Das moderne deutsche Staatsrecht läßt 1) den Übertritt von einer christlichen Konfession zur andern zu. Doch ist zum Zwecke der Verhinderung unbedachter Übertritte und Beschränkung der Proselytenmacherei (landesrechtlich meist strafbar) die Zulässigkeit des Konfessionswechsels an gewisse Bedingungen gebunden. Insbesondere wird in der Regel ein gewisses Alter (Entscheidungsjahr, annus discretionis), in den meisten Partikularrechten die Vollendung des 14. (so auch in Preußen), in Bayern, Königreich Sachsen, Braunschweig, Hamburg, Sachsen-Meiningen, Sachsen Altenburg, Schwarzburg-Sondershausen, beide Reuß des 21., in Baden und Frankfurt a. M. des 16., in Sachsen-Weimar und Sachsen-Koburg-Gotha des 18. Lebensjahres erfordert. Auch ordnen die meisten Gesetzgebungen an, daß vor dem Übertritt der Übertretende sich mit seinem bisherigen Seelsorger in Beziehung setzen muß und der Geistliche des neuen Bekenntnisses ohne einen von jenem erteilten Entlaßschein, der nicht verweigert werden kann, den Konvertierenden nicht aufnehmen darf. Der Staat läßt 2) auch den Übertritt zu einer nichtchristlichen Religion zu, ohne rechtliche Nachteile daran zu knüpfen. Der Staat kennt 3) auch einen A. überhaupt ohne einen damit verbundenen Übertritt zu einer andern Religionsgemeinschaft. Zur Regelung eines solchen Austritts sind in verschiedenen deutschen Staaten Gesetze ergangen. So erfolgt z. B. in Preußen und Hessen der Austritt aus einer mit Korporationsrechten ausgestatteten Religionsgesellschaft ohne Übertritt zu einer andern durch gerichtliche und in Hamburg durch standesamtliche Verlautbarung. In Baden ist die persönliche Erklärung vor der Bezirksverwaltungsbehörde des Wohnortes des Austretenden, in Lübeck vor dem Stadt- und Landamt erforderlich. In Preußen muß überdies 4–6 Wochen vor der Austrittserklärung ein darauf gerichteter Antrag bei dem Gericht des Wohnortes des Austretenden gestellt werden. In Bayern muß der Übergang von einer Kirche zur andern bei dem Pfarrer sowohl der neugewählten als der verlassenen Kirche persönlich erklärt werden, und der bloße A. ohne jeglichen Übertritt setzt die persönliche Austrittserklärung vor dem geistlichen Vorstande der verlassenen Kirche voraus. Durch den A. verliert man die aus der bisherigen Zugehörigkeit zur Kirche sich ergebenden Rechte, und wird man von der Verpflichtung zu Leistungen, die auf der persönlichen Kirchen- und Gemeindeangehörigkeit beruhen (in den meisten Gesetzgebungen aber erst nach Ablauf einer kürzern oder längern Zeit), befreit. In der bürgerlichen Stellung und den bürgerlichen Rechten des Austretenden wird hingegen durch den A. keine Änderung bewirkt. An den landesgesetzlichen Vorschriften über die religiöse Erziehung der Kinder hat das Bürgerliche Gesetzbuch nichts geändert (Art. 134 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch). In Österreich ist der A. der Bezirkshauptmannschaft (Magistrat) zu melden und der Eintritt dem betreffenden Geistlichen persönlich zu erklären (Gesetz vom 25. Mai 1868). Vgl. A. Schmidt, Der Austritt aus der Kirche (Leipz. 1893).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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