- Judas [2]
Judas, 1) J. der Apostel, erscheint in den Apostelkatalogen des Lukas (Luk. 6,16; Apostelgesch. 1,13; vgl. auch Joh. 14,12) statt des Matth. 10,3, Mark. 3,18 genannten Lebbäus oder Thaddäus, mit dem er daher gewöhnlich kurzweg vereinerleit wird. Seine Lebensgeschichte beruht auf widerspruchsvollen Sagen. Nach der abendländischen Überlieferung soll er mit Simon den Persern das Evangelium verkündigt und dort als Märtyrer geendet haben, wogegen die alte Legende von Edessa den J. mit Thomas (s. d.) identifiziert, der schon um 200 als Apostel Parthiens galt, den Thaddäus dagegen, auf den das Christentum in Edessa zurückgeführt wird, nur zu einem der 70 Jünger macht. Sein Tag ist in der griechischen Kirche der 16. (22.) Mai, in der katholischen der 28. Oktober. Nach der traditionellen Meinung gilt er als Verfasser des im Neuen Testament befindlichen, dem 2. Jahrh. angehörigen kleinen Briefes des J., der die Verirrungen der antinomistischen Gnosis rügt.
2) J. Ischariot, Sohn Simons, aus Kariot im Stamm Juda, einer der zwölf Apostel Jesu, der Jesum mit einem Kuß (Judaskuß) für die Summe von 30 Sekel (etwa 60 Mk.) verriet und sich darauf in der Verzweiflung selbst das Leben genommen haben soll, worüber schon im Urchristentum drei verschiedene Berichte umliefen. Über die Motive des Verrats gibt es nur Vermutungen. Die Gestalt des Verräters, dem die Volksphantasie bald auch einen bestimmten Typus lieh, tritt in allen poetischen Erzählungen vom Leben Jesu wie in den biblischen Dramen des 16. Jahrh. in gleich abschreckender Weise auf: überall erscheint er als Repräsentant der niedrigsten Habsucht, teuflischer Bosheit und trauriger geistiger Beschränktheit, zugleich als eine gemeine Alltagsnatur. Auch der Halbroman »J. der Erzschelm« von Abraham a Santa Clara (1689) folgt dieser Auffassung, während neuere Dichtungen, wie die Tragödien: »J. Ischarioth« (1852) von Elisa Schmidi, »Jesus der Christ« (1865) von Dulk und »Maria von Magdala« (1902) von Paul Heyse, den Charakter des Verräters zu heben und psychologisch verständlich zu machen suchen. In der frühchristlichen Kunst findet sich nur auf einigen wenigen Denkmälern der Verrat des J. (Judaskuß) und der Selbstmord des J. (z. B. auf einem Elfenbeinrelief des 6. Jahrh. im Britischen Museum, s. Tafel »Christliche Altertümer II«, Fig. 15) dargestellt. In der Kunst des Mittelalters und der Renaissance kommen dagegen keine Darstellungen des Selbstmordes vor; J. fehlt dafür in keiner der zyklischen Darstellungen der Passion und in keiner der Darstellungen des Abendmahls. Auf letztern wird er gewöhnlich mit einem Beutel mit dem Lohn seines Verrates dargestellt (bekanntestes Beispiel das Abendmahl Leonardos da Vinci), in der ältern italienischen Kunst von den übrigen Jüngern isoliert an einer Seite des Tisches allein sitzend (Beispiel: Fresko von D. Ghirlandajo in Ognissanti zu Florenz). In neuerer Zeit ist E. v. Gebhardt auf seinem Bilde des Abendmahls in der Berliner Nationalgalerie von der Überlieferung abgewichen, indem er J. dargestellt hat, wie er bei den Worten Christi heimlich hinausschleicht. Vgl. G. Maderspach, J., eine Charakteristik (Dresd. 1904).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.