Greisentötung

Greisentötung

Greisentötung. Der Gebrauch, alte Leute, die ihren Unterhalt nicht mehr erwerben konnten, zu töten, ist den Schriften der Alten zufolge bei Völkern der Alten Welt sehr verbreitet gewesen. Was Plinius und Mela von den Hyperboreern erzählten, daß sich ihre lebensmüden Alten nach fröhlichem Schmause von einem hohen Felsen ins Meer stürzten, scheint mehr als bloße Mythe zu sein, denn in der altnordischen Ganti-Sage wird eine hohe Klippe am Gillingsfelsen erwähnt, die man die Stammklippe nannte, weil sich alte Leute da herunter stürzten, »um die Menge des Volkes zu mindern«. Die Kinder begleiteten sie dorthin und erwiesen ihnen den Liebesdienst, sie hinabzustoßen. Seneca gedenkt derselben Sitte in den »Trojanerinnen«. Ähnliches erzählten Herodot, Aristoteles, Strabon und Mela von den Skythen, Triballern, Massageten, Tibarenern, Kaspiern und Hyrkanern, meist mit dem Zusatze, daß die Kinder ihre alten Eltern und hoffnungslose Kranke getötet und dann verzehrt hätten, weil dies das ehrenvollste Begräbnis sei. Daß Ähnliches auch in Altägypten geschehen sei, schloß Flinders Petri aus den sauber abgeschabten und zu Bündeln vereinigten Knochen altägyptischer Begräbnisse. Man hat dieses Verfahren als Endokannibalismus bezeichnet. Bei den Griechen war die G. nach Älian noch auf der Insel Keos und ferner in Sardinien gebräuchlich, bei den alten Römern scheint man die Greise von einer Brücke in den Tiber gestürzt zu haben, womit die Idee eines Opfers an Saturn oder den Flußgott verbunden wurde, und noch lange blieb dort die Redensart von den »brückenreifen Sechzigern« (sexagenarios de ponte) in Gebrauch, ja man bezeichnete einen Greis als Depontanus noch lange, als man dem Flußgotte bloß noch stellvertretende Strohpuppen opferte. Aus späterer Zeit erzählt Procop von den Herulern, daß es bei ihnen weder den Greisen noch den unheilbar Kranken erlaubt gewesen sei, weiter zu leben. Sobald das Alter drückender, die Gesundheit schlechter wurde, errichtete man einen Scheiterhaufen, auf dem ein Nichtverwandter den Lebensmüden mit dem Dolche tötete, dann feierlich verbrannte und begrub. Die Skandinavier gaben sich selbst den Schwerttod. Und ebenso wie noch Marco Polo die Sitte der G. in Asien antraf, so dauerte sie bei den Slawen bis ins 2. Jahrtausend. Kuhn fand noch Spuren von G. im 16. Jahrh. bet wendischen Stämmen der Gegend von Salzwedel.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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  • Anthropophagie — (griech., »Menschenfresserei«, auch Kannibalismus, abgeleitet von dem menschenfressenden Stamm der Kariben, span. Canibals), die nicht bloß bei niedersten Stämmen vorkommende Sitte, Menschenfleisch zu genießen, für die Feinschmeckerei, religiöse… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

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