- Ernährungstherapie
Ernährungstherapie, die zielbewußte Benutzung der auf geeigneter Ernährungsweise beruhenden Heilfaktoren zur Behandlung von Krankheiten. Dieselbe schließt pharmazeutische und physikalische Heilmittel keineswegs aus. Der Begriff der E. deckt sich großenteils mit dem der Diätetik (s.d.) und geht nur durch die exakte wissenschaftliche Begründung und speziellern Ausbau der für einzelne Krankheiten zur Verwendung kommenden Ernährungsmethoden über jene hinaus. Die Grundlage der E. ist die Physiologie und Pathologie des Stoffwechsels (s.d.). Die Krankheiten, bei denen die E. eine besonders wichtige Rolle spielt, sind die Konstitutionskrankheiten, Magen-, Darm- und Nierenerkrankungen und vor allem auch die Lungentuberkulose. Eine wichtige Aufgabe der E. ist in manchen Krankheitsfällen die künstliche (extrabuccale) Ernährung. Bei schweren Erkrankungen der Mund- und Schlundorgane, der Speiseröhre und des Magens, namentlich bei Verengerungen und Verschließungen dieser Wege (durch Narben, bösartige Wucherungen, Fremdkörper, benachbarte Geschwülste), bei Lähmungen der Schlingmuskulatur, blutenden Magen- und Darmgeschwüren, bei hartnäckigem Erbrechen Schwangerer, Nahrungsverweigerung Geisteskranker etc. sucht man dem Verhungern, bez. dem Kräfteverlust durch Nahrungszufuhr auf künstlichem Weg entgegenzutreten. Gelingt es und ist es statthaft, eine hohle, wenn auch dünne Schlundsonde durch die Speiseröhre in den Magen einzuführen (bei Geisteskranken durch eine Zahnlücke oder durch die Nase), so gießt man auf diesem Wege flüssig-breiige Nahrung von hohem Nährgehalt mittels eines Trichters ein. Ost aber muß der Magen völlig umgangen werden, dann wählt man Einläufe von Nährklistieren in den Mastdarm und Dickdarm vom After aus (Rektalernährung). Diese Klistiere werden in den vorher durch einen Wassereinlauf gereinigten Darm gebracht und in einigen Stunden zum großen Teil aufgesogen. Der Darm hat die Fähigkeit, Zucker gut zu resorbieren, Stärke rasch zu verdauen und auszusaugen; sowohl natürliches Eiweiß (Eier, Fleisch) als verdautes (Pepton) werden ebenfalls gut aufgenommen. Fett allein wird nicht gut resorbiert, dagegen in Gestalt der von Leube angegebenen Pankreasklistiere sehr gut ausgenutzt. Bei diesen letztern wird Fleisch (300 g), Fett (50 g) und frische Bauchspeicheldrüse (75–100 g) sein verhackt; die Verdauungsfermente der Drüse besitzen eine staubfeine Emulgierung des Fettes und eine im Darm sich fortsetzende, der Resorption äußerst günstige Verdauung des Fleisches. Ein solches Klistier wird in 12–24 Stunden zu 2/3-3/4 aufgesogen, der Rest wird vom Darm selbständig entleert. Durch leichtere Zubereitung und gute Aufsaugung empfiehlt sich ferner ein Gemisch von Eiern, Rotwein und Traubenzuckerlösung. Die Rektalernährung wird häufig durch Katarrh der Darmschleimhaut und darauf beruhende vorzeitige Ausstoßung der Klistiere beeinträchtigt. Bei der subkutanen Ernährung werden die Nahrungsstoffe unter die Haut eingespritzt und finden von hier durch die Lymphgefäße ihren Weg in den Kreislauf. Hierzu erwiesen sich Eiweißstoffe und Zucker als unbrauchbar, dagegen ist Fett in Gestalt von Oliven- oder Sesamöl sehr geeignet. 30–40 g Öl werden mittels einer spitzen Hohlnadel langsam unter die Haut gebracht und die Einstichöffnung nach Entfernung der Nadel geschlossen. Sowohl die Rektalernährung als die subkutane vermögen einem Menschen nicht die zur Erhaltung notwendige Nahrungsmenge zuzuführen, nicht einmal die Vereinigung beider Methoden vermag dies. Jedoch sind dieselben sehr wertvoll zur Verzögerung des Kräfteverfalls und wirken, wenn die der natürlichen Ernährung entgegenstehenden Hindernisse beseitigt werden können, mittelbar lebensrettend. Vgl. E. v. Leyden, Handbuch der E. und Diätetik (2. Aufl., Leipz. 1903, 2 Bde.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.