- Zeitbestimmung
Für die Ortsbestimmung auf See ist es erforderlich, daß der Schiffer immer über den Stand seines Chronometers gegen die Zeit des Ausgangsmeridians (Greenwich) unterrichtet ist, da er alsdann direkt aus dem Unterschiede der auf See aus Beobachtung von Gestirnshöhen bestimmten Ortszeit gegen die Greenwichzeit seines Chronometers die geographische Länge des Schiffsortes erhält. Die Kenntnis des Standes des Schiffschronometers gegen Greenwich erhält der Schiffer dadurch, daß er vor dem Verlassen des Ausgangshafens ein in der Regel im Greenwicher Mittag daselbst erfolgendes weithin sichtbares Zeitsignal möglichst häufig beobachtet und daraus den Stand und Gang seines Chronometers bestimmt. An der deutschen Küste werden diese Zeitsignale durch Zeitbälle gegeben, die in Wilhelmshaven, Bremerhaven, Bremen, Kuxhaven, Hamburg, Kiel, Swinemünde und Neufahrwasser errichtet sind, und deren Betrieb von den Sternwarten, bez. Marineobservatorien in Wilhelmshaven, Hamburg, Kiel, Berlin und Königsberg geleitet wird. Diese Zeitbälle bestehen aus einem ballonartigen schwarzen Körper von 1,5 m Durchmesser, der an einem Gerüst in die Höhe gezogen wird und im Greenwicher Mittag wieder herabfällt; meistens ist dieses Gerüst auf einer besondern, ca. 40 m hohen Säule (Fig. 1) errichtet, in Hamburg, Bremen und Kiel auf Türmen hoher Hafenbauten.
1. Zeitball in Kuxhaven.Fig. 2 u. 3 zeigen die Einrichtung des Zeitballes im Hamburger Hafen; dieselbe besteht aus dem über der Plattform eines Speicherturms errichteten Fallgerüst mit den Fall- und Aufzugsmechanismen (Fig. 3) und den in einem Häuschen auf der Plattform befindlichen Aufwinde- und Auslösevorrichtungen (Fig. 2).
2. Auslösevorrichtung des Zeitballes in Hamburg.Zum Auslösen des Zeitballes Z wird an den obern Teilen des Fallgerüstes ein Fallklotz L aufgezogen, der durch ein Zugseil mit dem Auslösemechanismus A in Verbindung steht. Die Bewegung dieses Fallklotzes ist begrenzt durch aufgesteckte Rohrstücke. Unter diesen bewegt sich durch den ganzen, 2,5 m betragenden Fallraum des Balles der Scherenklotz S, der zwei scherenförmig miteinander verbundene Metallklammern trägt, die Schere, und mittels eines Zugseils mit der Aufwindevorrichtung B in Verbindung steht. Die Schere faßt den Ball in einer Öse und hält ihn bis zum Niederfallen, da sie durch Federn zusammengezogen wird. Seitwärts an den Rohrstücken sind zwei mit Gegengewichten versehene Winkelhaken h, h1 angebracht, die mit Hilfe einer Zugschnur mit dem Handgriff g nach außen bewegt werden können. Diese Winkelhaken halten den Scherenklotz S, nachdem derselbe hochgezogen ist, damit das Zugseil desselben beim Aufschlagen des Fallklotzes nicht beansprucht wird. Die im Turm befindliche Auslöse- (A) und Aufwindevorrichtung (B) besteht aus den beiden Seiltrommeln F und G, auf deren erster das Zugseil des Fallklotzes, auf deren zweiter dasjenige des Scherenklotzes sich auf-, bez. abwickelt. An der Seiltrommel F befindet sich ein Sperrad r, in das die Sperrklinke x und der Sperrhaken y eingestellt werden können; letzterer sitzt an einem einarmigen Hebel v, mittels dessen die Trommel F bewegt und das Zugseil des Fallklotzes auf diese Trommel aufgewickelt wird. Die Sperrklinke x wird durch eine untergelegte Druckfeder stets an das Sperrad r angedrückt, so daß die Trommel F in jeder Stellung beim Aufziehen des Fallklotzes arretiert ist. Der Auslösehammer H wird mittels eines fein bearbeiteten Hakens vom Anker des Relais J gehalten. Um die Erschütterung der ganzen Einrichtung beim Auffallen des Balles zu schwächen, ist an dem Fußgestell eine Puffervorrichtung angebracht, die als Luft- und Federpuffer konstruiert ist. Hieran sitzt ein zweiarmiger Hebel, an dem ein Tau befestigt ist, das im Apparatenhäuschen an einem Winkelhaken K mit einer Öse aufgesetzt ist. Dieser drückt in zwei Kontaktfedern M, durch die der elektrische Strom für die Auslösung des Relais J hindurchgeht. Fällt der Ball auf den Puffer, so geht der freie Arm hoch und reißt den Winkelhaken K aus den Kontaktfedern M heraus, wodurch eine kurze Stromunterbrechung eintritt, die sich auf den Kontrollapparaten der Sternwarte markiert. Bei der Auslösung des Balles wird zunächst der Fallklotz L hochgezogen, alsdann der Scherenklotz S, nachdem die Winkelhaken h, h1 zurückgezogen sind, heruntergelassen, bis die Schere den auf den Puffern liegenden Zeitball Z in einer Öse faßt; 10 Minuten vor dem Greenwicher Mittag wird der Scherenklotz so weit in die Höhe gezogen, bis der Ball auf halber Höhe ist, und in dieser Stellung 7 Minuten belassen, um die Schiffer auf das zu erteilende Signal aufmerksam zu machen; 3 Minuten vor dem Greenwicher Mittag wird der Ball ganz aufgezogen, bis die Winkelhaken h, h1 unter dem Scherenklotz einschnappen; der Auslösehammer H wird unter die Nase des Relaishebels eingesetzt und das Relais J mit der elektrischen Leitung zur Normaluhr der Sternwarte verbunden, und alles ist für die Auslösung des Balles damit vorbereitet.
3. Zeitball auf dem Kaispeicher in Hamburg.Die Normaluhr hat einen elektrischen Kontakt, der den Auslösestrom genau 0,7 Sekunde vor dem Greenwicher Mittag schließt; der Anker des Relais J wird dann angezogen, der Hammer H wird frei und fällt auf die Sperrklinke x, dadurch wird die Seiltrommel F ausgelöst, und der Fallklotz L fällt herab auf die obern Scherenteile, drückt diese zusammen, wodurch die untern geöffnet werden und den Ball freilassen, der nun frei herunterfällt. Bei seinem Auffallen auf die Puffer löst er den Winkelhaken K und damit das Rücksignal, das den richtigen Fall auf der Sternwarte anzeigt, aus. Die Zeit, die durch die verschiedenen Auslösungen vom Stromschluß auf der Sternwarte bis zum Loslösen des Balles aus der Schere verfließt, beträgt 0,7 Sekunde, so daß, da der Stromschluß genau 0,7 Sekunde vor dem Greenwicher Mittag erfolgt, der Beginn des Falles des Zeitballes den Moment des Greenwicher Mittags angibt. Kann ein Signal nicht erteilt werden, so wird vorher 10 Minuten lang ein kleiner Korb (Warnungssignal) W an dem Gestänge hochgezogen; dasselbe erfolgt auch, wenn das Signal fehlerhaft gewesen sein sollte. Von ähnlicher Einrichtung sind die Zeitbälle an den andern deutschen Stationen und an den Küsten von Rußland, Schweden, Norwegen, Dänemark, England, Frankreich, Portugal, Spanien, Österreich-Ungarn und den Vereinigten Staaten von Nordamerika.
4 u. 5. Zeitklappen auf dem Meteorologischen Institut in Rotterdam.In den Niederlanden und in Belgien hat man an Stelle von Zeitbällen Zeitklappen (Fig. 4 und 5), die aus vier großen kreisrunden Klappen von Gitterwerk bestehen, welche an den Armen eines wagerechten Kreuzes befestigt sind. Sie werden kurz vor der Signalzeit in senkrechte Stellung gebracht (Fig. 4) und fallen im Moment des Signals in die wagerechte Stellung (Fig. 5) zurück, in der sie an Bord des Schiffes wie ein sehr schmaler Streifen erscheinen. Häufig wird auch ein akustisches Signal durch einen Kanonenschuß gegeben, doch haben diese Signale wegen der langsamen Fortpflanzung des Schalles nur eine geringere Genauigkeit; in Deutschland wird ein solches Signal in Kiel im mitteleuropäischen Mittag gegeben. Anfang 1905 bestanden im ganzen 162 solcher Zeitsignale an den verschiedenen Küsten der Erde.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.