- Schnee
Der Schnee fällt in einzelnen Schneekristallen oder in Zusammenballungen dieser als Schneeflocken. Die wahre Gestalt der Schneekristalle kennt man erst seit den nahezu gleichzeitigen, aber voneinander unabhängigen mikrophotographischen Aufnahmen durch Bentley, Hellmann-Neuhauß, G. Nordenskiöld und Sigson; früher hatte man nur schematische, meist von Scoresby (1820) und Glaisher (1855) angefertigte Zeichnungen. Die Schneekristalle gehören dem hexagonalen System an und haben tafel- oder säulenförmige Gestalt; bisweilen zeigen sich auch feine Eisfiedern an den Rändern der Kristalle (Fig. 15 a u. b). Danach hat Hellmann folgende, allgemein angenommene Einteilung der Formen gegeben:
I. Tafelförmige Schneekristalle, d.h. solche mit vorherrschender Flächenentwickelung in der Ebene der Nebenachsen, während die Hauptachse sehr klein ist.
1) Strahlige Sterne (Fig. 4 u. 11),
2) Plättchen (Fig. 3, 8, 12–14 u. 18 a),
3) Kombinationen von beiden (Fig. 1, 2, 5, 9 u. 10).
II. Säulenförmige Schneekristalle, d.h. solche mit ziemlich gleichmäßiger Entwickelung nach den vier Achsen.
1) Prismen (Fig. 16),
2) Pyramiden,
3) Kombinationen von tafel- und säulenförmigen Kristallen (Fig. 6, 7 u. 17).
Die tafelförmigen Kristalle bilden etwa drei Viertel aller Schneefiguren, und davon am häufigsten ist die Gruppe I, 3; am seltensten sind die Pyramiden. Wenn sich auch die vorkommenden Schneefiguren in dieses Schema einordnen lassen, so scheint ihre Mannigfaltigkeit unerschöpflich zu sein; Bentley hat bereits über 1000 verschiedene Formen photographiert.
Während die frühern Zeichnungen die Kristalle immer symmetrisch darstellten, zeigen die Photogramme, daß Asymmetrie häufiger ist, wenn auch nicht in der ganzen Figur, so doch in einzelnen Teilen (Fig. 11). Ferner hat schon Rossetti (1681), was aber in Vergessenheit geriet, auf kapillare Hohlräume in den Kristallen hingewiesen, die Hellmann und Nordenskiöld wieder auffanden (Fig. 19). Es sind feine, an den Enden spitz zulaufende Röhrchen von kaum 0,05 mm Weite, die man beim Reif und Rauhreif nicht findet, obwohl deren Fiedern den Strahlen der Schneesterne sehr ähnlich sehen; der Inhalt der Röhrchen ist gewöhnlich Luft, doch hat Nordenskiöld auch flüssiges Wasser bei_-8° beobachtet.
Die Größe der Schneekristalle hängt mit ihrer Form und der Lufttemperatur zusammen. Im Mittel ist der Durchmesser der strahligen Sterne 2–21/2 mm (beobachtetes Maximum 81/2 mm), der strahligen Sterne mit plättchenartiger Verbreiterung der Spitzen 11/2 mm und der Plättchen 11/3 mm; dieser Unterschied wird leicht verständlich, wenn man annimmt, daß für alle drei Formen die gleiche Wassermenge verbraucht wurde. Je niedriger die Temperatur, um so kleiner sind auch, entsprechend dem geringern Wasserdampfgehalt der Luft, die Schneekristalle; daher kommt in Polargegenden der feine Diamantschnee (s.d.) oder Diamantstaub vor. Mit abnehmender Temperatur wird die Sternform seltener, die Plättchenform häufiger. Die ergiebigsten Schneefälle finden in der Nähe des Gefrierpunktes statt, doch ist auch Schnee noch bei +12° Lufttemperatur beobachtet worden. In der Regel fallen die Schneekristalle nicht einzeln, sondern zu Schneeflocken vereinigt, die teils aus ganzen Kristallen, teils aus Bruchstücken bestehen. Je kälter es ist, um so mehr überwiegen die einzeln fallenden Kristalle; je mehr sich die Temperatur dem Gefrierpunkt nähert, um so häufiger und um so größer werden die Flocken. Die größten, sicher beobachteten Schneeflocken hatten 12 cm Durchmesser und fielen am 4. Dez. 1892 zu Glashütte i.S. bei_-2°. Flocken von 1 cm Durchmesser fallen 0,8 m in der Sek., solche von 4 cm nur 0,25–0,35 m.
Hinsichtlich der Entstehung der Schneekristalle weiß man jetzt, daß sie sich aus dem Wasserdampf der Luft direkt, also ohne dessen Übergang in Wasser, bilden, d.h. durch einen Sublimationsprozeß. An den Anfangskernen scheidet sich dann der Wasserdampf flüssig ab, gefriert an seiner Außenseite zuerst und schließt kleine Luftmengen ein, wie im gewöhnlichen Eise; so entstehen die feinen Kapillarröhrchen. Im einzelnen sind aber noch viele Punkte unaufgeklärt. Wiederholt ist es auch gelungen, die Formen der Schneekristalle künstlich nachzumachen, so Dogiel mit Jodoform, Muncke u.a.
Wird Eis oder Schnee stark gepreßt, so schmelzen die Teile oder werden doch so weich, daß sie die Preßform annehmen (Regelation); die Größe des notwendigen Druckes hängt wesentlich von der Temperatur ab, so daß mit abnehmender Temperatur ein größerer Druck erforderlich wird. So erklärt es sich, daß die Herstellung der Schneebälle nur bei Temperaturen in der Nähe des Gefrierpunktes gelingt, wo der Druck der Hände zur Erweichung der Schneekristalle genügt; man sagt dann wohl, daß der Schnee »bäckt«. Dazu kommt noch, daß er bei geringer Temperatur wässerig ist, und daß dadurch das Aneinanderfrieren der Schneekristalle erleichtert wird. Je tiefer die Temperatur, um so weniger findet ein Zusammenschmelzen und um so mehr ein Zerbrechen der Kristalle statt. Fährt z.B. bei strenger Kälte ein Wagen über Schnee, so wird das Zerbrechen der Kristalle laut hörbar, und man sagt: der Schnee knirscht oder schreit.
Außer durch Druck kann der Schnee auch durch Zunahme der Lufttemperatur zum Schmelzen gebracht werden; es entstehen dann wasserreiche Schichten der Schneedecke, die beim Wiedergefrieren in Eis übergehen (s. Eis und Gletscher). Eine auf geneigter Fläche (Dach, Bergabhang) liegende Schneedecke kann allmählich ins Gleiten kommen (s. Lawinen), zumal die den Schnee durchdringenden Wärmestrahlen die dunklere und daher leichter Wärme absorbierende Unterlage stark erwärmen. Liegt der Schnee auf Ästen oder Gesimsen und kommt durch milder werdende Temperatur ins Fließen, so senkt er sich bisweilen wie ein Tau in der Mitte herab, während die Enden auf dem Aste bleiben; diese Form der Schneegebilde nennt man Schneegirlande. Sie tritt nur in der Nähe des Gefrierpunktes auf; man hat 1,2 m lange und 1/2 m frei herabhängende Girlanden beobachtet.
Ist die Schneedecke dem Einfluß des Windes ausgesetzt, so entstehen außer den Schneedünen bisweilen Schneewalzen. Es sind das Rollen aus Schnee, die nach Größe und Form Damenmuffen sehr ähnlich sehen, doch sind auf den Orkney-Inseln schon Walzen von reichlich 1 m Länge und 3/4 m Durchmesser gefunden worden; selbst den Handlöchern entsprechende Vertiefungen in der Achsrichtung fehlen nicht. Sie entstehen dadurch, daß der Wind ein etwas höher stehendes Stück der Schneedecke abhebt und aufwickelt. Eine seltene Form der Schneedecke ist der Büßerschnee (s.d.).
Schneekristalle.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.