Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (auch Restitution, lat. Restitutio in integrum), soviel wie Wiederherstellung eines frühern Rechtszustandes. Im römischen und im gemeinen Recht bildete die W. ein Rechtsmittel (oder eine Rechtswohltat), vermöge dessen der von einem Rechtsnachteil Betroffene aus Gründen der Billigkeit dessen Beseitigung und eine Wiederherstellung des verlornen Rechtszustandes, auch nach eingetretener Rechtskraft eines Urteils, erwirken konnte. Diese W., die das strenge Recht mit der Billigkeit ausgleichen sollte, durfte unter anderm auf Irrtum, Zwang oder Betrug, vor allem aber auf die Minderjährigkeit des Verletzten gestützt werden. Den neuern Gesetzgebungen, insbes. dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, ist die W. als ein privatrechtliches Rechtsmittel nicht bekannt, sie dient aber im Zivil- und Strafprozeß zur Beseitigung von Rechtsnachteilen, die durch die unverschuldete Versäumnis von Fristen und Terminen erwachsen sind. Die deutsche Zivilprozeßordnung sieht in den § 233–238 die W. gegen die Versäumnis einer Not frist vor, sofern eine Partei oder deren Bevollmächtigter durch höhere Gewalt, d. h. durch ein Naturereignis oder einen andern unabwendbaren Zufall, an deren Einhaltung, z. B. an der rechtzeitigen Einlegung der Berufung, verhindert war. Ferner findet die W. statt, wenn das Schriftstück, dessen Zustellung zur Wahrung der Notfrist erforderlich war, spätestens am dritten Tage vor Ablauf dieser Notfrist dem Gerichtsvollzieher oder Gerichtsschreiber zum Zweck der Zustellung übergeben worden ist, und wenn die Versäumung der Notfrist dadurch veranlaßt wurde, daß das angefochtene Urteil den Prozeßbevollmächtigten des Gegners unrichtig bezeichnet. Die an eine bestimmte Notfrist gebundene W. ist durch Zustellung eines Schriftsatzes zu beantragen. Vgl. auch Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898, § 22; Gesetz über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden vom 24. Mai 1898, § 16. – Im österreichischen Prozeß kommt der W. eine große Bedeutung zu, weil er den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil nicht kennt. In § 146–154 der österreichischen Zivilprozeßordnung ist die W. ähnlich wie in der deutschen geregelt; doch finden sich manche Abweichungen. – Im Strafprozeß kann die W. gegen die Versäumung von Fristen und Terminen überhaupt stattfinden, sofern unabwendbare Zufälle die Versäumnis herbeiführten, z. B. Naturereignisse oder der Umstand, daß der Antragsteller ohne sein Verschulden keine Kenntnis von einer Zustellung erhielt. Auch hier ist eine Notfrist vorgesehen und muß mit dem Gesuch zugleich die versäumte Handlung nachgeholt werden. Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 44 ff. Der österreichische Strafprozeß kennt nur eine W. wegen unverschuldeter Versäumung von Fristen zur Anmeldung eines Rechtsmittels gegen ein Urteil (§ 364).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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