- Tiefsee
Tiefsee (hierzu Tafel »Tiefseeforschung« mit Text), eine Tiefenstufe der Ozeane, deren obere Grenze, von der ab man die eigentliche T. rechnet, je nach den maßgebenden Gesichtspunkten (ob man biologische oder physikalische Kennzeichen bevorzugt) verschieden angegeben wird; die obersten 200 m (100 Faden) Tiefe rechnet man jedenfalls nicht dazu, da im allgemeinen bis zu etwa dieser Tiefe die unmittelbaren Einflüsse von der Oberfläche (Seegang, Gezeiten, Strömungen, Lichteinwirkung) hinabreichen und auch an den meisten Küsten die Neigung oder Böschung auf dieser ersten Meeresstrecke derjenigen auf dem angrenzenden Festlande annähernd zu entsprechen pflegt, so daß diese Strecke eigentlich noch zu dem Kontinentalsockel hinzugehört (Kontinentalstufe oder Schelf). Die ganze Ostsee und die meisten Teile der Nordsee sind also keine Tiefseegebiete. Die T. wird seit der Mitte des 19. Jahrh. in immer steigendem Maß in den Bereich physikalisch-geographischer, chemischer und biologischer Forschungen gezogen, seit man erkannt hat, daß eine Kenntnis der T. nicht bloß für die Beantwortung vieler geophysikalischer Fragen unentbehrlich, sondern besonders auch in praktischer Hinsicht wertvoll ist. Die Verlegung der unterseeischen Telegraphenlinien oder Kabel setzt die genaue Erforschung der Bodengestaltung der Ozeane voraus; Seefischerei kann nur dann sachgemäß betrieben werden, wenn die Lebensbedingungen, unter denen die Nutzfische in den Tiefen der Meere leben, bekannt sind. Über die Methoden, die T. kennen zu lernen, s. die beifolgende Tafel mit Text; über die wichtigsten Forschungsreisen behufs Erkundung der T. s. Maritime wissenschaftliche Expeditionen. Die Bodengestaltung der T. ist bei den einzelnen Ozeanen (s. Atlantischer Ozean, Indischer Ozean, Stiller Ozean) und Meeren (s. z. B. Mittelländisches Meer) beschrieben. Da die mittlere Tiefe der Meere zwischen 4000 und 5000 m liegt und die Tiefen in einzelnen Fällen bis über 8000, ja 9000 m hinabreichen (s. Meer, S. 527: Übersicht der größten Tiefen), so handelt es sich meistens um außerordentlich mächtige Wasserschichten von im ganzen recht gleichförmigen Eigenschaften. Schon von etwa 500 m Tiefe ab herrscht absolute Finsternis; hört doch schon in etwa 300–400 m Tiefe das Vorkommen lebender pflanzlicher Organismen auf, die für ihre assimilatorische Tätigkeit des Lichtes bedürfen. Auch die Wärmeverhältnisse der T. sind in den großen Tiefen sowohl in den Tropen als unter höhern geographischen Breiten ungemein gleichmäßig; zwar lassen die Wasserschichten bis etwa 800 m einige sehr auffällige Temperaturunterschiede in verschiedenen Zonen erkennen, (s. Meer, S. 529), aber von 1000 m Tiefe ab findet man meist nur zwischen 3 und 8° schwankende Wärmegrade, und am Meeresboden ist die Temperatur auf 2°, 1°, auch 0° in gleichmäßiger Verteilung über ungeheuer große Flächen herabgesunken. – Auch der Salzgehalt des Bodenwassers der T. ist mit durchschnittlich 35 pro Mille nicht wesentlich von dem Durchschnittswert des Salzgehaltes der Meeresoberfläche verschieden. Da ferner das Meereswasser nur in sehr unbedeutendem Grade komprimierbar ist, so ist die Dichte des Wassers der T. nur ganz unbedeutend größer als die Dichte des Oberflächenwassers; denn unter diesen Umständen kann nur die niedrige Temperatur der T. eine geringfügige Vermehrung des spezifischen Gewichtes des Wassers der T. herbeiführen. Untergehende Schiffe sinken also bis zu den allergrößten Tiefen mit annähernd derselben Schnelligkeit wie in den obersten Schichten. In den großen Tiefen herrscht, da etwa 10 m Wassersäule dem Drucke von einer Atmosphäre entspricht, ein gewaltiger Druck; da er aber allseitig wirkt, so wird er von der Tierwelt, solange sie in denselben Niveaus bleibt, ebensowenig empfunden, wie der Mensch den Druck der einen Atmosphäre spürt.
Das Tiefseewasser enthält bis zu den größten Tiefen hinab absorbierte Luft, im besondern Sauerstoff, den die Tiefseetiere mittels Kiemenatmung entnehmen; daher ist auch in allen Tiefen der freien Ozeane tierisches Leben gefunden worden. Eine örtliche Anreicherung oder Ansammlung von aus verschiedenen Prozessen entstehender Kohlensäure, die im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende der Tierwelt verhängnisvoll werden müßte, findet offenbar nicht statt, ein Umstand, der im Zusammenhang mit physikalischen Erwägungen zu der ziemlich sichern Annahme nötigt, daß auch das Wasser der T. nirgends still steht, sondern überall und stets in äußerst langsamen horizontalen oder vertikalen Bewegungen begriffen ist und dadurch ventiliert wird. Wahrscheinlich bewegt sich das Bodenwasser der T. mit praktisch unmeßbar geringer Geschwindigkeit von den hohen Breiten nach dem Äquator zu; es mögen mehrere hundert Jahre dazu nötig sein, bis ein Wasserteilchen am Meeresgrund von unsern geographischen Breiten bis zum Äquator gelangt (»säkulare Verschiebung des Tiefenwassers«). Über die Tierwelt der T. s. Meeresfauna, S. 535.
Vgl. »Reports on the results of the voyage of H. M. S. Challenger« (Lond. 1884–95); Agassiz, Three cruises of the U. S. Coast and Geodetic Survey steamer Blake (das. 1888, 2 Bde.); Marshall, Die T. und ihr Leben (Leipz. 1888); Chun, Aus den Tiefen des Weltmeeres (2. Aufl., Jena 1903); Wissenschaftliche Ergebnisse der deutschen T.-Expedition auf der Valdivia (hrsg. von Chun, Jena 1902 ff.). Über Tiefseeforschung vgl. Sigsbee, Deep sea sounding and dredging (U. S. Coast Survey, Washingt. 1880); Handbuch der nautischen Instrumente (hrsg. vom Reichsmarineamt, 2. Aufl., Berl. 1890); Hensen, Methodik der Untersuchungen (Plankton-Expedition; Kiel 1895); Tanner, Deep sea exploration (U. S. Fish Commission, Washingt. 1897); Schott, Ozeanographie der deutschen Tiefsee-Expedition (Jena 1902); Knudsen, Hydrography of the Ingolt-Expedition (Kopenh. 1899). Über Ergebnisse der Tiefseeforschung vgl. Artikel »Meer«.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.