- Stadtbahnen
Stadtbahnen (hierzu Tafel »Stadtbahnen I«: 4 Karten mit Text, und Tafel II u. III: Ansichten), Eisenbahnen, die das Innere großer Städte auf eignem Bahnkörper unter Vermeidung von Schienenkreuzung der Straßen mit mechanischer Zugförderung durchdringen und durch eine mehr oder weniger große Zahl von Stationen dem Personenschnellverkehr zugänglich machen. S. bleiben entweder auf den binnenstädtischen Personenverkehr, unter Umständen nebst gepäcklosem Vorortverkehr, beschränkt und sind dann hinsichtlich ihrer Bau- und Betriebsart ganz unabhängig, können also den Eigenheiten des großstädtischen Personenverkehrs in vollkommenster Weise angepaßt werden; oder sie ermöglichen an ihren Endpunkten wie an andern Stellen mittels direkten Anschlusses an äußere Fern- und Vorortbahnen den Übergang von Zügen zu und von diesen Bahnen und nehmen dann den Fern-, Vorort- und binnenstädtischen Personenverkehr, unter Umständen auch Güterverkehr, auf. In diesem Falle müssen die S. durchweg den Verhältnissen der an schließenden Bahnen gemäß hergestellt werden. Dadurch erhöhen sich die Anlagekosten ganz außerordentlich, und zugleich wird die Anpassungsfähigkeit der Bahn an die Bedürfnisse des binnenstädtischen Personenverkehrs, zumal die hierfür so notwendige rasche Folge leichter Züge mit ganz kurzen Aufenthalten und die ebenso notwendige strenge Innehaltung eines festen Fahrplans, die Einheitlichkeit der Wagen etc. auf das schwerste beeinträchtigt, es sei denn, daß der Fernverkehr, wie bei der Berliner Stadtbahn, von vornherein auf ein eignes Gleispaar verwiesen wird. Ein gedeihliches Zusammenwirken von Fern- und Binnenverkehr auf denselben Gleisen ist kaum erreichbar und jedenfalls nur mit ganz unverhältnismäßigen Kosten zu erkaufen. Der Hauptvorteil der S. gegenüber andern städtischen Verkehrsmitteln besteht in der größern Leistungsfähigkeit und Schnelligkeit. Im Innern einer großen Stadt kann man in einer Stunde zu Fuß etwa 5, auf der Pferdebahn 8, auf der elektrischen Straßenbahn etwa 10, im Automobilomnibus 15 km zurücklegen. Demgegenüber beträgt die Reisegeschwindigkeit auf S. etwa 20–28 km in der Stunde. Die Reisegeschwindigkeit ist um so größer, je geringer die Anzahl der Aufenthalte ist, d. h. sie wächst mit der Entfernung der Stationen, auf denen die Züge halten. Indes ist ein großer Abstand der Stationen für die Benutzung der Bahn unbequemer. Die kleinste Stationsentfernung bei S. beträgt etwa 300 m, die mittlere etwa 800 m. Um trotz geringer Stationsentfernung eine große Reisegeschwindigkeit zu erzielen, richtet man besonders in Amerika auch auf S. Schnellzüge ein, die auf besondern Gleisen verkehren und nur auf den wichtigsten Stationen halten. Bei Zügen, die größere Strecken ohne Halt durchlaufen, nimmt nach der Abfahrt die Geschwindigkeit allmählich zu, bis die höchste gestattete Grenze erreicht ist; es folgt dann eine Fortbewegung mit gleichförmiger Geschwindigkeit; kurze Zeit vor dem Halten wird dann durch Bremsen eine Verzögerung herbeigeführt. Bei geringen Stationsentfernungen muß man den Zug aber oft bereits bremsen, bevor die Höchstgeschwindigkeit erreicht ist; dann ist die Reisegeschwindigkeit in erster Linie von der Beschleunigung beim Anfahren abhängig. Man wählt deshalb für S., soweit Dampfbetrieb angewendet wird, besonders kräftige Lokomotiven. Bessere Erfolge erzielt man aber durch elektrische Triebwagen, die außerdem den Vorteil der Rauchlosigkeit haben, so daß neuerdings für S. nur noch elektrischer Betrieb in Frage kommt. Vereinzelt ist früher auch Kabelbetrieb ausgeführt worden.
Nach der Lage der Bahn zur Straßenoberfläche unterscheidet man Hochbahnen und Tiefbahnen. Hochbahnen werden entweder in Stein ausgeführt (Berliner Stadtbahn) oder in Eisen (Berliner Hochbahn, Tafel II, Pariser Stadtbahn, Tafel III etc.). Die Ausführung in Stein erfordert bedeutende Kosten, besonders für den Grunderwerb; doch sind die Unterhaltungskosten geringer als bei Eisenbauten; auch wird das Geräusch der fahrenden Züge bedeutend gemildert. Eine besondere Form der Hochbahnen bildet die einschienige Schwebebahn, bei der die Räder oberhalb des Wagendaches liegen, der Wagen also an der Bahn hängt; Näheres s. Hängebahn.
Die unter der Straßenoberfläche liegenden Tiefbahnen erfordern in der Regel keinen Grunderwerb, die Anwohner werden nicht durch Geräusch gestört, auch wird das Straßenbild und der Straßenverkehr in keiner Weise beeinträchtigt. Anderseits zwingt die schlechte Luft zur Anlegung kostspieliger Ventilationseinrichtungen, bei Bränden kann die Rauchentwickelung große Gefahr herbeiführen (Unfälle in Paris und New York), die Herstellung ist teuer, auch sind bei Tiefbahnen Kreuzungen von Wasserläufen in der Regel nur mit großen Kosten und unter großen Schwierigkeiten herzustellen. Die Tiefbahnen liegen entweder unmittelbar unter der Straßenoberfläche (Unterpflasterbahnen) oder aber in größerer Tiefe noch unterhalb der Häuserfundamente (Untergrundbahnen). Im ersten Fall ist die Betriebsführung bequemer und leichter. Der Weg der Reisenden von der Straßenoberfläche bis zu den Bahnsteigen ist geringer, die Lage zum Grundwasser ist günstiger als bei Untergrundbahnen, die Ausführung kann in offener Baugrube hergestellt werden, der Übergang auf Bahnen in Höhe der Straßenoberfläche (Flachbahnen) macht keine Schwierigkeiten. Man ist indes mit der Linienführung an die Straßenzüge gebunden, auch können Kreuzungen mit Rohrleitungen der Kanalisation etc. große Schwierigkeiten bereiten. Bei Untergrundbahnen ist man dagegen vollständig unabhängig von der Lage der Häuser, da man unter den Grundmauern hinweggehen kann. Indes bietet die tiefe Lage (20–30 m) unter der Straße Schwierigkeiten für den Zugang der Reisenden. Man muß die Bahnsteige durch Personenaufzüge zugänglich machen, die im Betrieb außerordentlich kostspielig sind. Unterpflasterbahnen werden meist mit rechteckigem Querschnitt ausgeführt; die Sohle und Seitenwände aus Beton, die Decke aus Beton und Eisen. Untergrundbahnen erhalten meist gewölbte Decken, oft werden sie vollständig kreisförmig (Röhrenbahnen) ausgeführt, wobei jedes Gleis in einer besondern zylindrischen Tunnelröhre von 3–3,7 m lichtem Durchmesser liegt.
S. nur für den Binnenverkehr sind in der Regel zweigleisig; doch fügt man zuweilen ein drittes und auch ein viertes Gleis für Schnellzüge hinzu. Neuerdings ist in Chicago ein ganzes Netz elektrischer Untergrundbahnen ausgeführt worden, das lediglich dem Güterverkehr dient. Es liegt etwa 13–14 m unter der Straßenoberfläche und steht in unmittelbarer Verbindung mit den drei Stockwerke tiefen Kellern der Geschäftshäuser.
Die Herstellungskosten der S. sind außerordentlich verschieden; sie schwanken bei zweigleisigen Bahnen (auf 1 km gerechnet) etwa zwischen 2 Mill. Mk. (Liverpooler Hochbahn) und 13,5 Mill. Mk. (Merseytunnelbahn). Den stärksten Verkehr hat die Berliner Stadtbahn mit 6 Mill. Reisenden im Jahr auf 1 km Bahnlänge. Ihr folgt die Pariser mit 5 Mill.; dabei ist aber zu berücksichtigen, daß sie keinen Wettbewerb durch ein leistungsfähiges Straßenbahnnetz erleidet. Die Zentrallondonbahn, die in gleich günstiger Lage sich befindet, befördert dagegen nur 4,3 Mill. Von andern S., die im Wettbewerb mit leistungsfähigen Straßenbahnen stehen, beförderte die Manhattan-Hochbahn in New York 3 Mill., die Berliner elektrische Hoch- und Untergrundbahn 1905: 3,1 Mill. Die geringste Beförderungsmenge zeigt die Schwebebahn Barmen-Elberfeld mit 0,7 Mill., wobei indes die verhältnismäßig niedrige Einwohnerzahl dieser Städte zu berücksichtigen ist. Die Einnahmen auf die Person betrug im Durchschnitt in Europa etwa 15 Pf., in Amerika dagegen etwa 21 Pf. Die billigsten Fahrpreise hat die Berliner Stadt- und Ringbahn, bei der (unter Berücksichtigung der Monatskarten) etwa 7,6 Pf. auf die Person entfielen. Die Verzinsung des Anlagekapitals beträgt: bei der Pariser Stadtbahn 5 Proz., bei der Zentrallondonbahn, der Manhattan-Hochbahn, der Hoch- und Untergrundbahn in Berlin 4 Proz. Die meisten andern Bahnen dagegen weisen eine erheblich geringere Verzinsung auf. S. für den Binnenverkehr finden sich unter anderm in Berlin, Hamburg, Elberfeld, Wien, Paris, London, Liverpool, Glasgow, New York, Boston, Chicago und Philadelphia. Tafel I gibt die Stadtpläne mit den S. von Berlin, Wien, London und Paris. Vgl. Kemmann, Der Verkehr Londons (Berl. 1892) und Die Entwickelung des städtischen Schnellverkehrswesens seit Einführung der Elektrizität (»Deutsche Bauzeitung«, 1904); Troske, Die Londoner Untergrundbahnen (Berl. 1892) und Die Pariser Stadtbahn (das. 1905); Die Berliner Stadtbahn (das. 1886); Kontinentale Gesellschaft für elektrische Unternehmungen Nürnberg: Zum Entwurf einer Schwebebahn in Berlin (»Deutsche Bauzeitung«, 1905); »Ingenieurwerke in und bei Berlin«, Festschrift, herausgegeben von Herzberg und Meyer (das. 1906).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.