- Schanghai
Schanghai, Stadt in der chines. Provinz Kiangsu, größter Handelsplatz Ostasiens, unter 31°46´ nördl. Br. und 121°30´ östl. L., am linken Ufer des Hwangpu, der hier von links den Wusung aufnimmt und sich unter diesem Namen 21 km abwärts in das Ästuar des Yangtsekiang ergießt, ganz nahe dessen Mündung in die Chinesische Ostsee. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt 17°, das Maximum im Sommer 38°, das Minimum in Winternächten -4,5°. S. besteht aus einer chinesischen und einer europäischen Stadt (s. den Lageplan, S. 692). Erstere, meist aus einstöckigen Holz- und Ziegelgebäuden in engen, schmutzigen Gassen, umschließt noch große Stücke Ackerland. Die europäische Stadt besteht aus einem kleinern französischen und einem größern internationalen Stadtteil, dieser zerfiel früher in den englischen, diesseit, und den amerikanischen, jenseit des Sutschouflusses. Die beiden europäischen mit breiten Straßen und vielen Häusern in englisch-indischem Stil werden von ansässigen Europäern und von chinesischen Kaufleuten und Arbeitern bewohnt. Im alten amerikanischen Viertel befinden sich die hervorragendsten Fabriken, Schiffswerften und Docks. Auch andre Fremde, namentlich Deutsche, viele Franzosen, wohnen im internationaten Viertel. Sie haben städtische Verfassungen, die auf der französischen Seite unter Aussicht des französischen, auf der internationalen unter der des gesamten Konsularkorps stehen; Deutschland ist durch ein Generalkonsulat vertreten. Es befinden sich hier an dem Kai des Hauptflusses, dem »Bund«, die verschiedenen Konsulate, der Schanghai-Klub, das große Zollamt, ein schöner öffentlicher Garten, der englische Gerichtshof, mehrere Banken, weiter landeinwärts je vier katholische und prot. Kirchen, das Freimaurerhaus, Theater. Diese Stadtviertel haben Gasbeleuchtung, elektrisches Licht, Wasserleitung, Straßenbahnen, auch mehrere Zeitungen. In letzter Zeit sind nach W. hin schöne Villenviertel entstanden, Avenue Paul Brunat etc.; eine Bahn führt nördlich nach Wusung, westlich über Sutschou nach Nanking. Unter dem Schutz der französischen Niederlassung steht das 8 km westlich von S. liegende, im 17. Jahrh. gegründete, auch durch wissenschaftliche Arbeiten (Wetterwarte) verdiente Jesuitenkloster Sikawei sowie ein von Nonnen geleitetes Waisenhaus und eine Erziehungsanstalt für chinesische Mädchen. Von der (1904) auf 651,000 Seelen angegebenen Bevölkerung wohnen etwa 110,000 in der europäischen Stadt, nämlich 100,000 Chinesen und (1903) rund 10,000 Fremde. Die Industrie ist hauptsächlich auf Baumwollspinnereien und Webereien (Ausfuhr 1904 fast 5 Mill. Taels), Seidenfilaturen, Weizenmühlen und Papierfabriken beschränkt. Dazu kommen einige Schiffswerften. Dagegen ist S. das Zentraldepot für Manchestergüter sowie für alle Baumwollwaren (1903 für über 93 Mill. Taels) und Wollwaren (2,8 Mill.) für die meisten übrigen chinesischen Häfen von Niutschwang bis Futschou, ebenso für Opium (21,3 Mill.), Metalle (9,2 Mill.), Anilinfarben (1,5 Mill., besonders aus Deutschland), Petroleum (15,3 Mill.), Kohlen (5 Mill.), Zucker (7,5 Mill.), Maschinen (0,8 Mill.), Nähnadeln (0,5 Mill.), Zündhölzer, Lampen, Uhren. Tee (54,831 Kisten) und Seide (74,700 Ballen) sind die Hauptausfuhrprodukte, auch ist hier der Markt für Strohborten (3,7 Mill.), Moschus (0,5 Mill.), Rhabarber, Häute und Felle (12,8 Mill.), Tungtschoubaumwolle (26,1 Mill.). Schweinsborsten (2,1 Mill.), Federn, Galläpfel (0,7 Mill.), Talg. Die Einfuhr fremder Waren betrug 1904: 196,905,998, die chinesischer Waren 127,970,828 Haikwan-Taels (zu 2,92 Mk.); von letztern kamen solche für 73,3 Mill. Taels aus den Yangtsehäfen. Die Ausfuhr chinesischer Produkte örtlichen Ursprungs bezifferte sich 1904 auf 130,064,800 Taels. Der Anteil am Handel von S. betrug für England 63,5, Hongkong 40,7, Britisch-Indien 31,8, Japan 58,9 Proz., für Europa (ohne England und Rußland) 55,4, Nordamerika 52,0, für Rußland 6,0, für das gesamte Ausland 325,0 Mill. Taels. Der Schiffsverkehr betrug 1904: 9434 Schiffe von 12,181,798 Ton. (8116 Dampfer mit 11,939026 T.), darunter 916 deutsche von 1,613,000 T.
Die internationale Handelskammer (Shanghai General Chamber of Commerce) besteht (1904) aus 116 Mitgliedern, darunter 57 englische, 22 deutsche (im ganzen 79 deutsche), 11 amerikanische, 7 französische, je 4 japanische und schweizerische etc. Firmen. S. wurde 19. Juni 1842 von den Engländern erobert und 26. Aug. dem Fremdhandel geöffnet. Das englische Settlement am Einfluß des Sutschou in den Hwangpu (1845) ließ nach der Chinesenstadt zu einen Streifen frei, der 1849 den Franzosen zugestanden wurde, während jenseit des Sutschou 1862 die amerikanische Niederlassung entstand. Der Herrschaft der Taipingrebellen über die Stadt (September 1853 bis Februar 1855) verdankt der fremde Seezolldienst seine Entstehung, der 1858 über alle Vertragshäfen ausgedehnt wurde. Ein neuer Eroberungsversuch der Taipings wurde 1860/61 durch die Freiwilligen und die englischen und französischen Seesoldaten zurückgeschlagen. Seit der Blüteperiode 1860–64 ist S. die berühmte Musterkolonie auf kosmopolitischer Basis geworden, an deren Verwaltung außer im französischen Settlement 14 Vertragsmächte unter Führung ihrer Konsuln teilnahmen. Während des japanisch-chinesischen Krieges (1894–95) und der Boxerunruhen (1900–1901) galt S. als neutrales Ausland. Vgl. Cordier, Les origines de deux établissements français dans l'extrême-Orient. Chang-Haï, Ning-Po (Par. 1896); Dyce, Personal reminiscences of thirty years' residence in the model settlement, S. (Lond. 1906).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.