- Reichsbehörden
Unmittelbar unter dem Reichskanzler steht die Reichskanzlei, die als Zentralbureau den amtlichen Verkehr des Reichskanzlers mit den Vorständen der einzelnen Reichsämter vermittelt. Die nachstehend aufgeführten Reichsbehörden haben, sofern nicht ein andrer Amtssitz angegeben ist, ihren Sitz in Berlin.
I. Das Auswärtige Amt, von einem Staatssekretär geleitet, zerfällt in vier Abteilungen, und zwar Abteilung I für höhere Politik, kirchliche Angelegenheiten, Generalien und Personalien, Zeremonialsachen, Verkehr mit den fremden Gesandten, Etats- und Kassenwesen; Abteilung II für Handel und Verkehr, Auswanderung, Konsulatwesen; Abteilung III die sogen. Rechtsabteilung für internationale Rechtsangelegenheiten; Abteilung IV die Kolonialabteilung mit dem Kolonialrat als sachverständigen Beirat. Von dem Auswärtigen Amt ressortieren die Botschafter zu Paris, London, Rom, Wien, Petersburg, Konstantinopel, Madrid, Washington, die Gesandten, Ministerresidenten, Geschäftsträger und Konsuln des Deutschen Reiches, die Konsulargerichte, die Behörden der Schutzgebiete, mit Ausnahme der von Kiautschou, der Beirat für Auswanderungswesen und der wissenschaftlichen Reichsanstalten im Auslande (Archäologisches Institut in Rom und Athen). Außer dem ist im Auswärtigen Amt das Oberkommando der afrikanischen Schutztruppen eingerichtet.
II. Das Reichsamt des Innern (früher Reichskanzleramt), mit dem Staatssekretär des Innern an der Spitze, zerfällt in vier Abteilungen. Die erste für Angelegenheiten des Reichstags und der Reichsbehörden, für Reichsangehörigkeitssachen, Heer und Kriegsflotte, Polizei, Gesundheits- und Tierheilwesen; die zweite für Armensachen, Versicherungen, Aktiengesellschaften, Genossenschaften, Gewerbewesen und Arbeiterversicherung; die dritte für den Schutz des geistigen Eigentums, für Bank- und Börsenwesen, Patente, Muster- und Markenschutz, Schiffahrt und Auswanderungswesen und die vierte für Handels-, wirtschaftliche und statistische Angelegenheiten. Dem Reichsamt des Innern sind unterstellt:
1) Die Reichskommissare für das Auswanderungswesen in Bremen und Hamburg zur Überwachung der vom Bundesrat und von den betreffenden Bundesstaaten erlassenen Vorschriften über das Auswanderungswesen in den deutschen Häfen.
2) Die Reichsschulkommission zur Begutachtung von Anträgen, betreuend die Berechtigung höherer Lehranstalten zur Ausstellung von Zeugnissen für den einjährig-freiwilligen Militärdienst.
3) Die technische Kommission für Seeschiffahrt zur Begutachtung von Seeschiffahrtsangelegenheiten und zu Vorschlägen zur Verbesserung von Seeschiffahrtseinrichtungen.
4) Die Reichsprüfungsinspektoren in den Seestädten für die Prüfung der Seeschiffer, Seesteuerleute und Seedampfschiffsmaschinisten. Es bestehen zwei Inspektionsbezirke für die Prüfungen, die a) in Flensburg, Bremen und Hamburg, b) in Königsberg, Danzig, Stettin und Rostock abzuhalten sind.
5) Das Schiffsvermessungsamt in Berlin zur Beaufsichtigung des Schiffsvermessungswesens und zur Revision der Schiffsvermessungen.
6) Das Bundesamt für das Heimatwesen. Dasselbe ist für das gesamte Bundesgebiet, mit Ausnahme von Bayern und Elsaß-Lothringen, letzte Instanz in Streitigkeiten zwischen Armenverbänden über die öffentliche Unterstützung Hilfsbedürftiger, sofern die streitenden Armenverbände verschiedenen Bundesstaaten angehören und nicht die Organisation oder örtliche Abgrenzung der Armenverbände Gegenstand des Streites ist. Auch kann ihm landesgesetzlich die Entscheidung letzter Instanz bei Streitigkeiten zwischen Armenverbänden desselben Bundesstaates übertragen werden.
7) Die Disziplinargerichte, die über die Entfernung eines Reichsbeamten (ausgenommen die Mitglieder des Reichsgerichts, des Bundesamtes für das Heimatwesen, des Rechnungshofs, die Bundesbeamten der Schutzgebiete, die Rechtsanwälte, Patentanwälte, die Börsenbesucher, die juristischen Mitglieder des Reichsmilitärgerichts und die übrigen richterlichen Militärjustizbeamten, mit Ausnahme der bayrischen) aus dem Amte im Wege des Disziplinarverfahrens zu entscheiden haben. Auch sind ihnen die nichtrichterlichen Landesbeamten und die Lehrer und Lehrerinnen an öffentlichen Schulen in Elsaß-Lothringen unterstellt. In erster Instanz erkennen die Disziplinarkammern, in zweiter Instanz der Disziplinarhof in Leipzig.
8) Die Reichsbehörden für die Untersuchung von Seeunfällen. Diese Untersuchung, soweit sie sich auf Kauffahrteischiffe bezieht, ist den Seeämtern übertragen, die von den Landesregierungen der Küstenstaaten eingerichtet und also Landesbehörden sind. Es sind aber diesen Seeämtern Reichsbeamte, die Reichskommissare bei den Seeämtern, beigegeben, die vom Reichskanzler ernannt werden, den Verhandlungen derselben beizuwohnen haben und Anträge zu stellen befugt sind, namentlich auch die Einleitung einer Untersuchung beantragen können. Bei Beschwerden gegen die Entscheidung der Seeämter entscheidet eine Reichsbehörde, das Oberseeamt, darüber, ob einem Seeschiffer, einem Seesteuermann oder dem Maschinisten eines Seedampfschiffes die Befugnis zur Ausübung seines Gewerbes wegen Verschuldung eines Seeunfalls zu entziehen sei.
9) Das statistische Amt für die Reichsstatistik mit einer besondern Abteilung und einem Beirat für Arbeiterstatistik.
10) Die Normal-Eichungskommission, die für das Bundesgebiet, mit Ausnahme von Bayern, alle Gegenstände, welche die technische Seite des Eichungswesens betreffen, zu ordnen und darüber zu wachen hat, daß das Eichungswesen nach übereinstimmen den Regeln und den Interessen des Verkehrs entsprechend gehandhabt werde, auch allgemeine Vorschriften über das Eichungswesen zu erlassen und die Taxen für die Eichungsgebühren festzustellen hat.
11) Das Gesundheitsamt mit dem Reichs-Gesundheitsrat und einem Beirat für Fragen der Land- und Forstwirtschaft, zur technischen Unterstützung des Reichskanzlers in der Ausübung des Aufsichtsrechts und in der Vorbereitung der Gesetzgebung auf dem Gebiet der Medizinal- und Veterinärpolizei bestimmt.
12) Das Patentamt umfaßt Abteilungen für Patentanmeldungen, eine Abteilung für die Anträge auf Erklärung der Nichtigkeit oder auf Zurücknahme von Patenten, Abteilungen für die Beschwerden und eine Abteilung für Warenzeichen.
13) Das Reichsversicherungsamt, mit der Ausführung und Überwachung der Unfall-, Alters- und Invaliditätsversicherung der Arbeiter betraut. Dasselbe hat organisatorische, Verwaltungs- und richterliche Obliegenheiten.
14) Die physikalisch-technische Reichsanstalt zur experimentellen Förderung der exakten Naturforschung und der Präzisionstechnik; zerfällt in eine der Forschung gewidmete physikalische und eine technische Abteilung, welche die Ergebnisse der Forschung nach der technischen Seite hin weiter zu bilden und für die wissenschaftliche Technik nutzbar zu machen hat.
15) Die Zentraldirektion der Monumenta Germaniae historica, eine wissenschaftliche Kommission, welche die Gesamtausgabe der deutschen Geschichtsquellen des Mittelalters leitet.
16) Das Kanalamt in Kiel für die Unterhaltung und den Betrieb des Nordostseekanals.
17) Der Börsenausschuß, sachverständiger Beirat des Bundesrats bei Begutachtung der dem letztern durch das Börsengesetz überwiesenen Angelegenheiten.
18) Das Aufsichtsamt für Privatversicherung mit dem Versicherungsbeirat zur Beaufsichtigung der Privatversicherungsunternehmungen, deren Betrieb sich nicht auf das Gebiet eines Bundesstaates beschränkt, sowie zur Beaufsichtigung der ausländischen Versicherungsunternehmungen.
III. Das Reichsmarineamt für die Verwaltung der Reichskriegsmarine und das Schutzgebiet Kiautschou mit einem Staatssekretär an der Spitze. Die Geschäfte werden in elf Abteilungen bearbeitet. Dem Reichsmarineamt unterstehen die Inspektion des Torpedowesens, der Marineartillerie, der Marineinfanterie und der Marinedepots, das Gouvernement von Kiautschou, die Werften, die Schiffsprüfungskommission, der Marinekommissar für den Kaiser Wilhelm-Kanal, die Küstenbezirksämter, die Bekleidungsämter, die Stationsintendanturen, die deutsche See warte in Hamburg, das Observatorium in Wilhelmshaven und das Chronometerobservatorium in Kiel.
IV. Das Reichsjustizamt, geleitet von einem Staatssekretär, für die Justizverwaltung des Reiches und insbesondere des Reichsgerichts, die Vorbereitung der Justizgesetzentwürfe und die Bearbeitung der erforderlichen Ausführungsbestimmungen. Von dem Reichsjustizamt ressortiert das Reichsgericht und die Reichsanwaltschaft.
V. Das Reichsschatzamt mit einem Staatssekretär, mit zwei Abteilungen, von denen die eine die Bearbeitung der Zoll- und Steuersachen, die andre alle übrigen Aufgaben des Reichsschatzamtes zu erledigen hat. Von dem Reichsschatzamt ressortieren:
1) die Reichshauptkasse, die von der Reichsbank (s. XI.) verwaltet wird;
2) die Verwaltung des Reichskriegsschatzes;
3) die Reichsbevollmächtigten und Stationskontrolleure für Zölle und Steuern;
4) das Münzmetalldepot;
5) die Reichsrayonkommission;
6) die Reichsschuldenverwaltung.
VI. Der Rechnungshof des Deutschen Reiches, als welcher die um einige Mitglieder verstärkte preußische Oberrechnungskammer tätig ist. Ihm obliegt die Kontrolle des gesamten Haushalts des Reiches, des Landeshaushalts von Elsaß-Lothringen und des Haushalts der Schutzgebiete, sodann die Revision der Rechnungen des Invalidenfonds und der Reichsbank.
VII. Die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds zu Berlin, mit der zugleich die Verwaltung des Reichsfestungsbaufonds verbunden ist.
VIII. Das Reichspostamt, von einem Staatssekretär geleitet, dem die Post- und Telegraphen Verwaltung des Reiches, mit Ausnahme von Bayern und Württemberg, unterstellt ist. Das Reichspostamt hat vier Abteilungen für Postwesen, für Telegraphenwesen, für die gemeinsamen Verwaltungsangelegenheiten und für das Personal-, Etats-, Kassen- und Rechnungswesen. In den einzelnen Bezirken wird die Verwaltung des Post- und Telegraphenwesens von den Oberpostdirektionen wahrgenommen, denen die einzelnen Postämter, Telegraphenämter und Postagenturen unterstellt sind. Dem Reichspostamt unterstehen die 41 Oberpostdirektionen und die diesen untergebenen Post- und Telegraphenämter, die Postanstalten in den Schutzgebieten und im Ausland und die Reichsdruckerei.
IX. Das Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen.
X. Das Reichseisenbahnamt mit einem Präsidenten als Chef für die Wahrnehmung des Aufsichtsrechts des Reiches über die Eisenbahnen.
XI. Die Behörden der deutschen Reichsbank, nämlich das Reichsbankdirektorium, das die Verwaltung der Reichsbank unter Leitung des Reichskanzlers besorgt, und das Reichsbankkuratorium, dessen Vorsitzender der Reichskanzler selbst ist, und das die dem Reich zustehende Aufsicht über die Reichsbank führt. Dem Reichsbankdirektorium sind unterstellt: 1) Die Reichshauptbank in Berlin; 2) die Reichsbankhauptstellen und die 72 Reichsbankstellen. Den Reichsbankhauptstellen und Reichsbankstellen sind dann wiederum Reichsbanknebenstellen (-Kommanditen,_-Agenturen, Warendepots) an kleinern Handelsplätzen untergeordnet. Weiteres über die deutsche Reichsbank s. Banken.
XII. Die Reichsschuldenkommission, welche die Aufsicht über die Reichsschuldenverwaltung (als solche fungiert die preußische Hauptverwaltung der Staatsschulden) und die Kontrolle über die Verwaltung des Reichskriegsschatzes und des Reichsinvalidenfonds sowie über An- und Ausfertigung, Einziehung und Vernichtung der Banknoten der Reichsbank und der Reichskassenscheine führt.
XIII. Das Reichsmilitärgericht, seit dem 1. Okt. 1900, der höchste militärische Gerichtshof in Deutschland, mit einem General als Präsidenten an der Spitze. Die Angelegenheiten des bayrischen Heeres werden ausschließlich von dem eigens hierfür gebildeten bayrischen Senat behandelt.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.