- Nötigung
Nötigung, in der modernen Strafgesetzgebung das Vergehen desjenigen, der einen andern widerrechtlicherweise durch körperliche Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen zu einer Handlung. Duldung oder Unterlassung nötigt. Das deutsche Strafgesetzbuch bestraft die N. mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 600 Mk., wofern nicht etwa durch die N. ein schwereres Verbrechen, z. B. eine Notzucht, begangen wurde. Das Vergehen der N. ist vollendet, sobald das dem Genötigten zugemutete Verhalten begonnen hat; doch ist auch der Versuch für strafbar erklärt. Eines Strafantrags seitens des Genötigten bedarf es nicht. Wurde derselbe zu einer an und für sich strafbaren Handlung genötigt, so tritt für ihn Straflosigkeit ein, wenn er dazu durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung genötigt wurde, die mit einer gegenwärtigen, auf andre Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war. Das Vergehen der N. steht zwischen der einfachen Bedrohung und der Erpressung in der Mitte. Es wird strenger bestraft als die bloße Bedrohung mit einem Verbrechen (s. Drohung) und gelinder als die Erpressung (s. d.), in welche die N. dann übergeht, wenn sie zum Zwecke der Erlangung eines widerrechtlichen Vorteils begangen wird. Wird die N. von einem Beamten durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt oder durch Androhung eines bestimmten Mißbrauchs derselben verübt, so wird dieselbe als Amtsverbrechen mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft, auch kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von 1–5 Jahren erkannt werden. Umgekehrt erscheint die N. als Widerstand gegen die Staatsgewalt, wenn sie unternommen wurde, um eine Behörde oder einen Beamten zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung zu nötigen. Die Strafe soll hier in der Regel nicht unter drei Monaten Gefängnis betragen. Wurde eine N. von einem Angehörigen des Heeres oder der Kriegsmarine einem Vorgesetzten gegenüber begangen, um diesen mittels Gewalt oder Drohung an der Ausführung eines Dienstbefehls zu hindern oder zur Vornahme oder Unterlassung einer Diensthandlung zu nötigen, so trifft den Schuldigen nach dem deutschen Militärstrafgesetzbuch Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, im Felde Gefängnis nicht unter zwei Jahren. Bei der Handelsmarine wird eine derartige N. dem Vorgesetzten gegenüber nach der Reichsseemannsordnung mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft, bei mildernden Umständen mit einer Geldstrafe bis zu 600 Mk. Endlich gehört noch die Bestimmung der Reichsgewerbeordnung hierher, wonach denjenigen, der andre durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an Verabredungen oder Vereinigungen von gewerblichen Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeitern behufs Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder andre durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten treffen soll, sofern die Tat nicht in ein schwereres Vergehen übergeht. Vgl. Reichsstrafgesetzbuch, § 240, 52, 339, 358, 114; Reichsmilitärstrafgesetzbuch, § 96; Deutsche Seemannsordnung, § 103; (Reichs-) Gewerbeordnung, § 153. In Österreich (Strafgesetzbuch, § 98–100) fällt die N. unter den Begriff der Erpressung, bez. unter den des besondern Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt. Vgl. Fränkel, Die Delikte der N., Bedrohung und Erpressung in ihrem Verhältnis zueinander (Berl. 1901).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.