Straßenbahnen

Straßenbahnen

Die Bauart der Straßenbahnen zeigte lange Zeit hindurch Holzlangschwellen und darauf befestigte flache Rillenschienen, anfangs mit einzelnen unter dem Straßenpflaster angebrachten Holzquerschwellen, später mit eisernen, aus senkrecht gestellten Flacheisen gebildeten und zwischen die Pflastersteine gelegten Querverbindungen zur Spurhaltung.

1. Einteilige Rillenschiene.
1. Einteilige Rillenschiene.
2. Zwillings schiene.
2. Zwillings schiene.

Die Veränderlichkeit, der rasche Vergang, häufige Ausbesserungsarbeiten am Gleis und an der Straßenbefestigung etc. haben jedoch später das Holz gänzlich verdrängt. Da Querschwellen, hölzerne wie eiserne, für die Pflasterung zu hinderlich und auch bei andrer Straßenbefestigung namentlich im Hinblick auf Ausbesserungen ungeeignet sind, so verwendet man zurzeit vorwiegend Schienenformen, die unmittelbar auf dem tunlichst festen, am besten aus Beton gebildeten Unterbau der Straßenbefestigung aufruhen, hierzu also die nötige Höhe und Steifigkeit des Querschnitts sowie auch die erforderliche Breite der Grundfläche haben, dabei eine hinreichende Kopfbreite für die Lauffläche der Wagenräder und zugleich die Rille für an der Innenseite befindlichen Spurkranz darbieten.

3. Wechselstegschiene.
3. Wechselstegschiene.

Um diese Rille gegen die Straßenbefestigung sicher abzugrenzen und dieser (namentlich den Pflastersteinen) ein festes Anlager zu geben, erhält entweder die einteilige Schiene selbst die hierzu erforderliche Schutzleiste (Fig.1, Phönixschiene aus Ruhrort), oder diese wird von einer zweiten, neben die Fahrschiene gelegten und mit ihr durch Schrauben und Zwischenstücke verbundenen Schiene gebildet (Fig. 2, Zwillingsschiene von Haarmann aus der Georgs-Marienhütte in Osnabrück, ältere Ausführung).

4. Wechselstegschiene mit Rillenschiene im Pflaster.
4. Wechselstegschiene mit Rillenschiene im Pflaster.

Eine große Breite der Fußfläche und zugleich eine Verbesserung des Schienenstoßes durch Verblattung suchte Haarmann durch die zweiteilige Schwellenschiene mit einer daneben gesetzten Schutzschiene zu erzielen. Der Stoß wurde dabei in zwei um etwa 500 mm gegeneinander verschobene Halbstöße aufgelöst. Diesen letztbezeichneten Zweck (die Verblattung des Stoßes) erreichte derselbe Erfinder billiger mit der einteiligen sogen. Wechselstegschiene (Fig. 3, 4 u. 5) durch unsymmetrische Lage des Kopfes zum Stege, ohne Schwächung des letztern. Selbstverständlich werden außerdem an jedem Schienenstoße Laschen angebracht, die sich zwischen Kopf und Fuß der Schiene einpressen. (Die Laschen sind zum Teil in den Figuren angegeben.)

Bei den Rillenschienen ist außer dem Stumpfstoß vielfach der Halbstoß verwandt worden. Die Stoßfuge wird hierbei durch die Außenlasche überbrückt, deren Kopf bis zur Schienenoberkante reicht und in entsprechende Ausfräsungen des Schienenkopfes eingreift. Auch hat man die Schienenenden umgossen (Patent Falk) sowie die zusammenstoßenden Schienen elektrisch oder nach dem aluminothermischen Verfahren (Hans Goldschmidt, Essen) verschweißt. Eine Beseitigung der Stoßlücke auf große Längen ist nämlich bei den Straßenbahnen möglich, weil die Schienen fast vollständig eingebettet sind, und daher weniger ihre Länge verändern als die freiliegenden Gleise der Eisenbahnen. Straßenbahngleise in chaussierten Straßen erhalten als Bettung eine durchgehende tiefe Packlage oder Betonunterlage.

5. Wechselstegschiene. Grundriß.
5. Wechselstegschiene. Grundriß.

Bei Asphaltstraßen ist der Anschluß zwischen Schiene und Pflaster schwer dauerhaft herzustellen. Man säumt daher die Schienen wohl mit Holzpflaster in Zement oder Asphaltbeton (Fig. 6). Neuerdings verlegt man auch die Schienen auf Eisenbetonplatten. Bei lebhaftem Betriebe findet eine starke Abnutzung der Schienenköpfe an den Stößen statt, während die übrigen Teile weniger leiden. Nach einem von Melaun zuerst ausgeführten Verfahren schneidet man, ohne die Schienen von ihrem Lager abzuheben, mittels beweglicher Fräsmaschinen die ausgefahrenen Enden der Köpfe weg und ersetzt sie durch den Kopf einer besonders geformten Lasche.

6. Straßenbahnschiene in Asphaltstraße. a a Ausguß._– b Zementmörtel._– c Unterguß._– d Beton._– e Stampfasphalt.
6. Straßenbahnschiene in Asphaltstraße. a a Ausguß._– b Zementmörtel._– c Unterguß._– d Beton._– e Stampfasphalt.

Hierbei kann das kostspielige Aufreißen und Wiederherstellen des Straßenpflasters auf ganz kurze Strecken beschränkt werden.

Die Weichen werden bei Pferdebetrieb an Teilungspunkten, da, wo sie gegen die Spitze nur in einer Richtung befahren werden, wie an Ausweichstellen eingleisiger Bahnen, in der Regel mit festen Zungen hergestellt, so daß die nur ausnahmsweise vorkommende Ablenkung durch den schiefen Zug der Pferde erfolgt. Bei solchen Weichen, die regelmäßig gegen die Spitze für beide (auch drei) Richtungen, also zur Abzweigung benutzt werden, pflegt eine bewegliche Zunge vorhanden zu sein. Dieselbe wird entweder durch den Schaffner oder Wagenführer mittels eines Stabes umgestellt, oder die Einstellung erfolgt durch mechanische Hilfsmittel. Bei elektrischen Straßenbahnen werden in der Regel beide Zungen beweglich angeordnet.

Die Wagen der Straßenbahnen sind abhängig von dem Umfang und der Art des Verkehrs und daher ungemein verschieden in Größe, Bauart und innerer Einrichtung. Vorherrschend findet man mehr oder weniger lange Wagen mit mittlerm Durchgang und offenen Vorräumen für Stehplätze an beiden Enden, bisweilen auch mit Sitzplätzen auf dem Wagendach, und für den Sommer Wagen ohne Seitenwände. Neuerdings verwendet man vielfach Wagen mit eigenartigen, zahlreichen hohen Seitenfenstern; durch Hinaufschieben, bez. Herablassen kann man in kurzer Zeit einen geschlossenen Wagen in einen Sommerwagen verwandeln und umgekehrt. Die Wagen erhalten in Rücksicht auf die scharfen Krümmungen entweder zwei einander ziemlich naheliegende Achsen, so daß die Enden der Wagen weit überkragen, oder bei großer Länge auch zwei vierräderige Drehschemel.

Der Betrieb der Straßenbahnen erfolgt in Deutschland zurzeit vorwiegend mit Elektrizität. In Nordamerika hat außerdem der Betrieb mit stetig unter dem Pflaster umlaufendem Drahtseil (»Kabelbahnen«.) und verstellbarem Greifer, der vom Wagen durch einen Schlitz im Pflaster das Kabel fassen oder loslassen kann, zeitweise erhebliche Ausdehnung gewonnen; gegenwärtig ist dort jedoch der elektrische Betrieb mit oberirdischer Stromzuleitung ganz überwiegend in Anwendung und dürfte bald alle andern Betriebsarten verdrängt haben (s. Elektrische Eisenbahn).

Dampflokomotiven, sowohl selbständig vorgehängte als auch in den Wagen eingebaute, stehen mehrfach für längere Straßenbahnen in Anwendung, namentlich auf Vorortlinien, dürften jedoch auf die Dauer der weitern Ausdehnung des elektrischen Betriebes kaum standhalten. Allerdings stellt sich der Dampfbetrieb zurzeit noch in manchen Fällen billiger als der elektrische Betrieb, so zur Beförderung von Menschenmassen innerhalb größerer Zeitabschnitte. Die Straßenbahnlokomotiven müssen eine kräftige Bauart besitzen und so konstruiert sein, daß der Lokomotivführer bei der Hin- und Rückfahrt die Strecke gut übersehen kann, ohne daß die Lokomotive an den Endpunkten gedreht zu werden braucht; man legt daher den Führerstand entweder an die Seite des Kessels oder ordnet an beiden Enden der Lokomotive einen Stand mit allen Handgriffen an. Zur Verhütung von Funkenauswurf und Qualmbildung wird mit Koks gefeuert. Bei Fahrten durch städtische Straßen muß der Dampf kondensiert werden, damit die Pferde nicht scheuen. Eine besondere Art des Dampfbetriebs mit dem Heißdampfgenerator von Serpollet arbeitet mit sehr hohem Dampfdruck (bis 20 Atmosphären) und nimmt daher sehr wenig Raum ein. Es wird hierbei den Verdampfungskörpern um so viel Wasser zugeführt, als zur Erzeugung der geforderten Dampfmenge nötig ist. Hauptvorzüge sind das geringe Gewicht, die Möglichkeit, die Maschine ohne lange Vorbereitung in Betrieb setzen zu können und geringer Verbrauch an Kohle und Wasser. Auch mit Petroleumfeuerung sind neuerdings Serpollet-Wagen ausgeführt worden. Von andern Bauarten seien noch die von Turgan, Ganz u. Co., Komarck, Purrey und Stolz genannt.

Feuerlose Lokomotiven (erfunden von Lamm, verbessert von Léon Francq), bei denen Wasser in einem geschlossenen Kessel mitgenommen und durch Einführen hochgespannten Dampfes von einer stationären Anlage aus erhitzt wird, sind besonders in Frankreich benutzt worden. In Deutschland werden feuerlose Triebwagen von der Lokomotivbauanstalt Hohenzollern in Düsseldorf geliefert.

Preßluftbetrieb von Mekarski und andern ist vereinzelt zur Anwendung gelangt. In Paris sind zurzeit 200 Lokomotiven und Triebwagen dieses Systems in Benutzung; die Triebwerke arbeiten fast geräuschlos. Gasbetrieb mit Motor von Lührig war in Dessau angewandt, ist aber durch elektrischen Betrieb ersetzt worden. Dagegen scheint neuerdings der Betrieb mit Petroleum-, Benzin- und Spirituskraftmaschinen für gewisse Fälle geeignet, mit dem elektrischen erfolgreich in Wettbewerb zu treten. (Vgl. Eisenbahntechnik der Gegenwart, hrsg. von Blum u.a., Bd. IV, Abschnitt C, Wiesb. 1907.)

Die Krümmungshalbmesser der Straßenbahnen gehen nötigenfalls bei der vielfach üblichen, den Vollbahnen entsprechenden Spurweite von 1,435 m bis zu 15 m, bei der ebenfalls verbreiteten Spur von 1 m sogar bis zu 10 m herab. Straßenbreiten von 5 m zwischen den Bordschwellen erscheinen im allgemeinen für die Anlage eines Gleises, solche von 7,5 m für zwei Gleise ausreichend, namentlich im Hinblick auf die durch die Straßenbahn eintretende erhebliche Entlastung des sonstigen Straßenverkehrs. Die Spurweite ist hierbei weniger maßgebend als die Wagenbreite, die bei beiden Spuren etwa 2 m zu betragen pflegt und somit einen Abstand der Gleismitten von 2,5 m erfordert.

Die zulässigen Steigungen der Straßenbahnen sind abhängig von der Betriebsart. Beim Pferdebetrieb sind scharfe Steigungen am meisten hinderlich und müssen bei größerer Länge in der Regel mit Vorspann überwunden werden, sofern sie über 250/00 hinausgehen. Steigungen bis 400/00 sind trotzdem nicht selten, und es kommen sogar solche bis 620/00 (1: 16) vor. Der elektrische Betrieb ist für die Überwindung steiler Neigungen ebenso wie für rasches Anfahren und Bremsen besonders günstig und kann im Notfall Steigungen bis 1: 10 (Remscheid) überwinden. In neurer Zeit sind bei sehr steilen Neigungen auch Straßenbahnen streckenweise mit Zahnstangen versehen, also für gemischten Betrieb eingerichtet, so die Straßenbahn St. Gallen-Gais in der Schweiz mit 1 m Spur, Steigungen bis 920/00 und Dampflokomotiven. In Barmen ist 1894 eine kurze Straßenbahn mit reinem Zahnradbetrieb durch elektrische Oberleitung eröffnet, deren Steigung 1: 7 beträgt.

Neuerdings hat man in einigen deutschen Fabrikstädten die Straßenbahnen auch für Güterverkehr nutzbar gemacht, vorwiegend unter Verwendung derjenigen Tage- oder Nachtstunden, in denen der Personenverkehr ruht oder gering ist, so in Mühlhausen und Gera; in Forst in der Lausitz dienen sogar die Straßenbahnen in erster Linie dem Güterverkehr, um die Güterwagen der Eisenbahn unmittelbar den verschiedenen Fabrikhöfen zuführen zu können. Dies wird auf Schmalspurgleisen mittels sogen. Rollböcke bewirkt, das sind Radgestelle mit zwei vierräderigen Drehschemeln von sehr kleinem Radstande, die unter die Bahnwagen gefahren werden und die Achsen der letztern mit den seitlich überstehenden Rädern aufnehmen und weiterfördern, wie dies auch an andern Stellen, insbesondere bei sächsischen Schmalspurbahnen, üblich ist, sofern die überzusetzenden Waren das Umladen nicht vertragen.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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