Harnblase

Harnblase

Harnblase (Blase, Vesica urinaria), der Behälter für den Harn, findet sich bei den Wirbeltieren in dreierlei Formen vor: bei manchen Fischen ist sie eine Erweiterung der Harnleiter vor oder nach deren Vereinigung zu einem einzigen Kanal, daher entweder doppelt oder einfach; bei den Lurchfischen und Amphibien ist sie ein durch einen kurzen Stiel mit der vordern Kloakenwand verbundener Sack (Allantois); bei den Säugetieren (und ebenso bei Schildkröten und Eidechsen) geht sie aus einem Teil der Kloake hervor (s. Allantois). Beim Menschen (s. Tafel »Eingeweide I u. II«) ist sie ein in der Beckenhöhle an mehreren Bändern befestigter Sack von 5–10 cm Höhe, 4–9 cm Breite und 4–7 cm Dicke, der unter normalen Umständen durchschnittlich 700, jedoch, ohne zu platzen, bis 1800 ccm Flüssigkeit enthalten kann. Der obere Teil der H. heißt der Scheitel, der mittlere der Körper und der hintere und untere, zugleich weiteste Teil der Blasengrund, an dessen hinterer Wand die Harnleiter einmünden. Die dünne, dehnbare Wandung besteht aus einer innern gefäßreichen, mit Epithel bedeckten Schleimhaut, die von der bindegewebigen Submukosa umgeben ist; diese wieder umgibt eine in drei Schichten angeordnete Lage glatter Muskelfasern, deren äußere, aus longitudinalen Faserzügen bestehende, an der vordern und hintern Fläche der H. besonders stark entwickelt ist (Harnauspresser, Detrusor urinae). Beim Übergang der H. in die Harnröhre (Blasenhals) verdickt sich die Muskulatur und bildet den ringförmigen Schließmuskel (Blasenschließer), durch den der Harn in der Blase zurückgehalten wird.

Von den Krankheiten der H. sind die wichtigsten: 1) Die Blasenentzündung (Cystitis). Ihre leichteste Form, der Blasenkatarrh, besteht, wie die katarrhalischen Entzündungen aller Schleimhäute, in einer übermäßigen Schleimabsonderung auf die Oberfläche der Blase und verläuft akut oder chronisch. An ihn schließt sich, falls die Schwellung und Entzündung das tiefer liegende Gewebe, d. h. die Blasenwand, erreicht, die eiterige Blasenentzündung (C. purulenta). Die Absonderung ist nicht mehr schleimig, sondern eiterig, sie kann auch blutig sein (C. haemorrhagica); stoßen sich Stücke der Innenfläche ab, so entstehen Geschwüre (C. ulcerosa); auch werden größere Flächen in einen membranartigen Schorf verwandelt (C. diphtherica), oft geht die Geschwürsbildung aus dem Zerfall von Tuberkeln hervor (C. tuberculosa, Blasenschwindsucht). Ursachen des Katarrhs sind am häufigsten Genuß jungen unvergornen Bieres, Gebrauch reizender Medikamente (Spanische Fliegen, Kopaivabalsam u. dgl.), Fortpflanzung eines Harnröhrenkatarrhs (Trippers) auf den Blasenhals. Viel ernster ist die Anwesenheit von Steinen oder andern Fremdkörpern, welche die Blasenwand reizen und entzünden. Die häufigste Ursache, die auch das überwiegend häufige Vorkommen des Leidens bei Männern erklärt, ist Schwellung der Prostata oder Vorsteherdrüse, die entzündlicher Art (z. B. bei alten Reitern), oder durch eine von der Trippererkrankung der Harnröhre fortgeleitete Entzündung, oder auch durch Tuberkulose bedingt, oder endlich im Gefolge des Greisenalters (als arteriosklerotische Fibromatose) entstanden sein kann. Die Vergrößerung dieser Drüse, die rings um die Harnröhre liegt (s. Tafel »Eingeweide I«, Fig. 2, u. II, Fig. 4), erschwert durch Druck auf diese den Harnabfluß (Dysuria oder Ischuria) und führt zu Stauung und Erweiterung, schließlich zu Lähmung der Blase. In der gelähmten Blase zersetzt sich der Harn durch Entwickelung niederer Organismen, die oft durch unreine, zur Entleerung der Blase eingeführte Katheter in die Blase gelangen. Die infolgedessen entstehende Entzündung setzt sich oft auf Harnleiter und Nieren fort, wobei tödlicher Ausgang die Regel ist. Dasselbe gilt von Lähmungen, die nach Quetschungen oder andern Erkrankungen des Rückenmarks (Tabes) sich entwickeln. Mit allen Formen der Blasenentzündung sind mehr oder weniger heftige Schmerzen, Drang zum Harnlassen und Brennen in der Harnröhre verbunden. Zur Behandlung der leichtern Fälle von Blasenkatarrh genügen diätetische Maßnahmen und Gebrauch von Medikamenten. Erstere bestehen in Meidung stark gewürzter Speisen, alkoholischer Getränke, in reichlicher Flüssigkeitszufuhr (Wasser, Mineralwasser, Milch, Tee), wodurch die Harnwege häufig durchspült werden. Besonders gebräuchlich sind Trinkkuren mit den Mineralwässern von Wildungen, Vichy, Fachingen, Karlsbad, Obersalzbrunn u. a. Zweckmäßige im Harn zur Ausscheidung kommende Mittel sind Salizylsäure, Terpentinöl, Kopaivabalsam, Bärentraubentee. Bei alkalischer Reaktion des Harns gelingt es durch Salizylsäure und deren Abkömmlinge saure Reaktion zu erzeugen und dadurch oft rasche Besserung herbeizuführen; eine ebensolche Wirkung kommt dem Urotropin zu. Gegen Schmerzen empfehlen sich warme Bäder und Umschläge und narkotische Mittel. Stärkere und chronische Blasenkatarrhe erfordern oft Ausspülungen der Blase mittels des Katheters. Sehr wichtig ist immer die Beseitigung der Ursachen, z. B. bei Steinen, bei Harnstauung. 2) Der Blasenkrampf (Cystospasmus) ist eine rein nervöse Störung und entsteht z. B. infolge eines durch den Genuß jungen, nicht ausgegornen Bieres (kalte Pisse) erzeugten Reizes, ist aber auch mit sehr lästigen, verschieden häufig auftretenden Anfällen von Harndrang ein quälendes Symptom vieler Rückenmarksleiden. Er schwindet nach kurzer Frist von selbst, wenn nicht, so bekämpft man ihn durch warme Sitzbäder, durch Darreichung von Opiaten (besonders Opiumstuhlzäpfchen). 3) Die häufigste Geschwulst der Blase ist das Papillom, oder, weit verästelt und häufig gestielt, als Zottenkrebs bezeichnet, der jedoch keine echte Krebsgeschwulst ist. Primäre Carcinome sind selten; sekundäre greifen von den Nachbarorganen (Mastdarm, Gebärmutter, Scheide) nicht selten auf die Blase über. Außerdem beobachtet man Sarkome und Myome. Anfangs verraten sich Blasengeschwülste durch unregelmäßig und scheinbar ohne Veranlassung auftretende Blutungen, die bei der gefäßreichen Zottengeschwulst durch ihre Stärke gefährlich werden können; die genaue Diagnose gelingt mit Hilfe der Cystoskopie (s. Beleuchtungsapparate). Die Geschwülste können nur operativ entfernt werden mittels des hohen Steinschnittes, und zwar bezüglich der Zottenkrebse mit günstigem Erfolg. 4) Die Blasenlähmung entwickelt sich auf rein nervöser Grundlage, so bei Tabes und bei den sklerotischen Entzündungen des Rückenmarks, bei Hemi- und Paraplegie. Je nachdem die Lähmung die austreibenden Muskeln der Blase (detrusor) oder den Blasenschließmuskel (sphincter) betrifft, ist sie mit Retention des Urins (Harnverhaltung), oder mit Inkontinenz (Harnträufeln) verbunden. Man behandelt die Harnverhaltung durch zweimaliges tägliches Katheterisieren und durch Anwendung des konstanten Stromes und erzielt in akuten Fällen oft schnelle Heilung. Bei veralteter Lähmung muß dauernd ein Katheter in der Blase liegen. Außerdem kann Blasenlähmung durch Überdehnung der Blasenmuskulatur (bei zu langer Harnverhaltung, z. B. bei bewußtlosen Kranken) erfolgen und wird dann ebenfalls schnell durch den konstanten Strom geheilt. Hierher gehören auch die hysterischen Blasenlähmungen. Wo längere Zeit Hindernisse für die Harnentleerung bestanden haben (z. B. bei Prostatavergrößerung, Harnsteinen), entwickelt sich oft eine Verdickung der Blasenmuskulatur, deren Stränge dann balkenförmig in der Blasenwand hervorspringen (Balkenblase). 5) Blasenschwindsucht, Tuberkulose der H., kommt als selbständige Krankheit niemals vor, auch ist sie nicht etwa eine gewöhnliche Begleiterscheinung der Lungenschwindsucht; sie entsteht vielmehr nur durch Fortpflanzung der Tuberkulose entweder von den Nieren aus (durch die Harnleiter), oder von den äußern Harnwegen (Harnröhre, Prostata) her. Die Diagnose ist nur zu stellen durch Nachweis von Tuberkelbazillen in dem (falls die Tuberkel schon käsig zerfallen, eiterigen) mittels Katheter entnommenen Harn, wobei es aber immer zweifelhaft bleibt, ob nicht die Bazillen möglicherweise aus den Nieren stammen. Die Krankheit kann nur symptomatisch behandelt werden (Morphium gegen die Schmerzen; Blasenausspülungen mit desinfizierender Flüssigkeit). 6) Blasensteine, s. Harnsteine. 7) Als Fremdkörper in der Harnblase kommen abgebrochene ärztliche Instrumente, Katheter- oder Bougiestücke vor, außerdem bei Onanisten alles mögliche, ebenso bei masturbierenden Mädchen (Haarnadeln, Bleistifte, Bohnen, Perlen, Siegellack- oder Metallstücke, Pfeifenrohre etc.). Oft schlagen sich auf den Fremdkörpern Harnsalze nieder, und es bilden sich auf diese Weise Steine. Die Entfernung der Fremdkörper geschieht, wenn sie nicht zu groß sind, vermittelst Extraktion durch die Harnröhre, was bei Frauen, nach vorgängiger Erweiterung der Harnröhre, auch bei ziemlich großen Fremdkörpern möglich ist. In andern Fällen muß, wie bei Blasensteinen, operativ eingegriffen werden. Vgl. Lebert u. a., Krankheiten der H. und Harnröhre (in Ziemssens »Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie«, Bd. 9, 2. Hälfte, 2. Aufl., Leipz. 1880); Ultzmann, Die Krankheiten der H. (Stuttg. 1889); Fürbringer, Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane (2. Aufl., Berl. 1890); Güterbock, Krankheiten der H. (Wien 1890); Zuckerkandl, Die lokalen Erkrankungen der H. (das. 1899); v. Frankl-Hochwart und Zuckerkandl, Die nervösen Erkrankungen der Blase (das. 1899); Zülzer u. Oberländer, Klinisches Handbuch der Harn- und Sexualorgane (Leipz. 1894, 4 Tle.); Posner, Diagnostik (3. Aufl., Berl. 1902) und Therapie der Harnkrankheiten (3. Aufl., das. 1903); weitere Literatur beim Artikel »Harn« (S. 818).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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