Wurfhölzer

Wurfhölzer

Wurfhölzer (Wurfbretter, Wurfschlingen), Vorrichtungen aus Holz, Bambus oder Knochen zum verstärkten Fortschleudern von Speer und Pfeil. Die W. sind 40–120 cm lange brettartige (Wurfbrett) oder stabförmige Holzgeräte (Wurfholz, Wurfstock), oder aber die Vorrichtung besteht in einer kurzen Schlinge aus Leder, Bastgeflecht u. dgl. (Wurfriemen, Wurfschlinge). In allen drei Fällen wird durch die Vorrichtung die Wucht des Wurfes vergrößert und die Wurfweite verlängert. Bei den steifen Vorrichtungen faßt ein am hintern Ende des Wurfbrettes befindlicher Haken in das etwas ausgehöhlte untere Ende des Speerschaftes (s. Tafel »Entwickelung der Waffen«, Fig. 21, beim Artikel »Waffen«), oder ein vertieftes, rinnenförmiges Widerlager im Wurfstock nimmt einen am Speerschaft befindlichen Haken auf (s. Tafel beim Artikel »Waffen«, Fig. 20). Die Bewegung des rechten Armes erfolgt beim Wurf nicht kreisartig, sondern rasch in der Wurfebene von hinten nach vorn ziehend, wobei sich der Speer leicht aus der Befestigung löst. Die Wurfrichtung des Speers wird dabei nicht im mindesten veränderl. Die Wurfschlinge versetzt das Geschoß in eine Rotationsbewegung um die Längsachse, wodurch die Wirkung des Dralls erzielt, mithin ein Überschlagen des Geschosses verhindert wird. Die Schlinge sitzt entweder fest am Schaft und fliegt dann mit, oder aber sie ist auf diesem verschiebbar und bleibt beim Wurf in der Hand. In beiden Fällen wird sie vor dem Wurf um den Schaft gewickelt, um darauf beim raschen Abrollen im Wurf die Rotation hervorzubringen (s. Tafel beim Artikel »Waffen«, Fig. 22). Verbreitet ist oder war das Wurfholz über Australien und Teile Melanesiens und Mikronesien (Marianen, Karolinen), in Asien: in den Amurländern, auf Sachalin und in Teilen des arktischen Nordostasien; in Amerika: bei den Alëuten und Eskimo bis Grönland im Osten und den Nordwestamerikanern (Tlinkit). Bis etwa 1530 wurden W. gebraucht bei vielen Indianern des Südwestens, Südostens und Westindiens, auch den alten Mexikanern und ihren Nachbarn; heute ist es nur noch am Patzcuarosee im Gebrauch. In Südamerika, wo die Verbreitung der W. einst auch sehr bedeutend war, ist es heute noch gebräuchlich bei den Anwohnern des obern Schingu und des Araguaya. In Europa hat man der Renntierzeit (s. Steinzeit, S. 918) angehörende, aus Knochen gefertigte W. in Frankreich gefunden. Wurfriemen und Wurfschlingen waren im Altertum gebräuchlich bei den Griechen (ἀγκύλη), Römern (amentum) und nördlichen Nachbarvölkern. Hier war der Riemen lang und oft um den Schaft gewickelt; er sollte mehr die Rotation als die Durchschlagskraft befördern (Rollriemen). In der Gegenwart sind Schlingen im Gebrauch in Neukaledonien, den Neuen Hebriden, auf Neuseeland und Hawaï, in Togo (Westafrika) und Indien. Rollriemen scheinen in der Bronzezeit auch in Nordeuropa üblich gewesen zu sein. Vgl. Krause, Schleudervorrichtungen für Wurfwaffen (im »Internationalen Archiv für Ethnologie«, Bd. 15, Leiden 1902); Klemm, Die Werkzeuge und Waffen, ihre Entstehung und Ausbildung (Sondershaus. 1858); Jähns, Entwickelungsgeschichte der alten Trutzwaffen (Berl. 1899); v. Luschan, Das Wurfholz in Neuholland und Mikronesien (in der »Festschrift für A. Bastian«, das. 1896); Uhle, über die W. der Indianer Amerikas (in den »Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien«, Bd. 17, Wien 1887); de Martillet, Les propulseurs à crochet modernes et préhistoriques (in der »Revue de l'École d'Anthropologie«, Par. 1891).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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