Ablösung

Ablösung

Ablösung, die Beseitigung einer rechtlichen Verpflichtung gegen Entschädigung, insbes. und zwar im Gegensatze zu einer freiwilligen Vereinbarung eine solche, die auf Grund gesetzlicher Bestimmungen (der Ablösungsgesetze) bei Grundgerechtigkeiten, Reallasten und Realrechten erfolgt. In den meisten europäischen Ländern stand bis in das 19. Jahrh. hinein der ländliche Grundbesitz zum überwiegenden Teil nicht im vollen Eigentum der Besitzer und Bebauer desselben. Außerdem war er mit mannigfaltigen Lasten zugunsten der Gutsherrschaft, der Kirche, Stiftungen, sonstiger Korporationen und Privatpersonen beschwert. Diese Lasten werden als Real lasten bezeichnet, insofern sie den jeweiligen Besitzer zu einem positiven Tun verpflichten, wie die verschiedenen Fronen, als Hand-, Spann- und Baudienste, dann die Zehnten, Besitzveränderungsabgaben und Grundzinsen aller Art. Von diesen werden die ihrem Wesen nach der römisch-rechtlichen Servitut nahe stehenden oder mit ihr übereinstimmenden Grunddienstbarkeiten dahin unterschieden, daß bei diesen die Verpflichtung nur in einem Dulden oder Unterlassen besteht. Durch solche Grunddienstbarkeiten oder Grundgerechtigkeiten war, abgesehen von der Jagdgerechtigkeit und von Weiderechten, weniger der bäuerliche landwirtschaftliche Besitz als vielmehr das Waldeigentum beschwert, bei diesem zum Teil aus Verleihungen hervorgegangen, zum Teil aber auch nur als Überrest ehemaliger markgenossenschaftlicher Rechte erhalten geblieben. Neben diesen Beschränkungen der Land und Forstwirtschaft bestand eine Reihe von gewerblichen Realrechten, bei denen in der Form von Zwangs- und Bannrechten der ausschließlichen Berechtigung zu einem Gewerbebetriebe ein Zwang für die Verpflichteten entsprach, ihren Bedarf nur durch Entnahme von dem Berechtigten zu decken. Diese verschiedenen Berechtigungen wurden im Laufe der Zeit mit Änderung von Technik und Verkehr zu einem Hemmschuh der wirtschaftlichen Entwickelung. Insbesondere mußten die persönlichen Lasten, bei denen ehemalige Gegenleistungen weggefallen waren, und die mit dem modernen Gedanken der persönlichen Freiheit in Widerspruch standen, als schädlich erscheinen und aufgehoben werden (Bauernbefreiung). Nachdem bereits Joseph II. eine Befreiung des Bauernstandes von den drückendsten Lasten versucht hatte, gab die französische Revolution den Anstoß zu umfassendern Reformen, indem auf Grund der von der Nationalversammlung in der Nacht vom 4. Aug. 1789 gefaßten Beschlüsse die nur im Feudalrecht wurzelnden Lasten ohne Entschädigung aufgehoben wurden, während für andre, die auf einer Verleihung beruhten und privatrechtlichen Ursprunges waren, die A. angeordnet wurde. Auch in andern Ländern wurden Beschränkungen, die auf der Guts-, Gerichts-, Vogtei-, Grund- oder Dienstherrlichkeit beruhten, ohne Entschädigung beseitigt, so 1850 in Preußen Lasten, die der freien Verfügung des Grundeigentums im Wege standen und keinen in Geld abschätzbaren Vorteil gewährten, wie das Obereigentumsrecht der Lehns-, Grund- und Erbzinsherren, das Eigentumsrecht des Erbverpachters etc., eine Reihe von Real lasten (insbes. Fronen) 1848 und 1849 in Österreich, Bayern etc., dann in verschiedenen Ländern die Jagdrechte als dringliche Rechte an fremdem Grund und Boden

In Deutschland beginnt eine planmäßige Durchführung der A. mit der Stein-Hardenbergschen Gesetzgebung in Preußen. Nachdem das Edikt vom 9. Okt. 1807 mit der persönlichen Freiheit des Bauernstandes die freie Benutzung des Grundeigentums gewährleistet hatte, wurde die A. der Reallasten und Servituten, bez. deren Regulierung in zwei Edikten vom 14. Sept. 1811 ins Auge gefaßt, aber erst umfassender durchgeführt auf Grund der Gemeinheitsteilungsordnungen (für Servituten) vom 7. Juni 1821, vom 2. März 1850 und des Ablösungsgesetzes (für Reallasten) vom 2. März 1850 sowie einer Reihe späterer, insbes. auch für die neuen Provinzen erlassener Gesetze. Als ablösbar wurden im Gesetze von 1850 bezeichnet alle beständigen Abgaben und Leistungen, die auf eigentümlich oder bisher erbpachts- oder erbzinsweise besessenen Grundstücken oder Gerechtigkeiten haften, wie Hand-, Spann- und Baudienste, Abgaben su Körnern etc., Besitzveränderungsabgaben, feste Geldabgaben etc. Ausgeschlossen von der A. wurden im wesentlichen die Leistungen an Staat, Kirche, Gemeinde, welche die Natur öffentlicher Pflichten haben, ebenso auch Deichlasten, Bergwerksleistungen etc. Zur Stellung des Antrags (Provokation) auf A. ist sowohl der Verpflichtete als der Berechtigte befugt. Der unter Zugrundelegung von Normalmarktpreisen ermittelte Reinertrag der Berechtigung kann durch Barzahlung des 18fachen Betrages abgelöst werden. Zur Erleichterung der A. wurden (ähnlich auch in andern Ländern) eigne Anstalten als Ablösungsbanken, die Rentenbanken (Gesetze von 1850 und vom 17. Jan. 1881), errichtet, welche die Abfindungssummen vorschossen und dafür vom Verpflichteten eine Reihe von Jahren hindurch Zins und Amortisationsquote einziehen. In andern Ländern wurde zu dem Zweck ein eignes, fortschreitend mit der Tilgung wieder einzuziehendes Papiergeld, die Grundrentenscheine, ausgegeben. In Österreich wurde 1850 für jedes Kronland die Errichtung eines eignen Grundentlastungssonds angeordnet. Die Kapitalsentschädigung erfolgte im wesentlichen durch Ausfertigung 5 proz. Schuldverschreibungen, die alle Vorzüge der Staatspapiere genießen und auf die entlasteten Realitäten und die Landesfonds hypotheziert sowie unter die Garantie des Reiches gestellt waren. Von dem festgestellten Jahresertrag aller Reallasten wurde ein Drittel für Steuererhebungskosten und Ausfälle der Berechtigten abgezogen. Die übrigen zwei Drittel hatte der Verpflichtete zu tragen, falls die Lasten auf emphyteutischen oder andern Verträgen aus dem geteilten Eigentum beruhten, andernfalls nur ein Drittel, indem das zweite Drittel das betr. Kronland übernahm.

Bei Servituten (Grunddienstbarkeiten) wurde in Preußen, soweit nicht bereits allgemeine Beschränkungen durch Gesetze angeordnet sind, die zwangsweise Regulierung auf Antrag zugelassen, d.h. eine solche zeitliche und räumliche Ordnung in Umfang und Art der Ausübung, bei der die Servitut nicht mehr schädlich wirkte. Bestimmt bezeichnete Arten, die man als kulturschädlich oder einer guten Bewirtschaftung hinderlich erkannte, wurden als selbständig oder gelegentlich ablöslich erklärt, das Provokationsrecht wurde beiden Parteien (in andern Ländern für gewisse Rechte nur dem Belasteten) zugestanden. Zum Schutz des Provozierten (Provokaten), und zwar in den meisten Ländern nur des Belasteten (so in Preußen 1821, seit 1850 nur noch bei Waldgrundgerechtigkeiten), in einigen Ländern auch des Berechtigten, wurden demselben mehrfach Begünstigungen zugestanden, so die Wahl der Art der Entschädigung (Land oder Geld als Abfindungsmittel), dann der Art der Bemessung des Ablösungsbetrags. Letztere kann erfolgen: 1) nach dem Vorteil, der aus der Aufhebung dem Belasteten erwächst; 2) nach dem Nutzungsertrag oder dem Vorteil, den der Berechtigte aus der Berechtigung zieht, und zwar alsdann nach Maßgabe des Bedarfs oder nach Maßgabe der seitherigen Ausübung unter Anrechnung der Kosten der Zugutemachung und der Gegenreichnisse und Unterstellung eines angemessenen Zinsfußes. In einigen Ländern hat man die A. unmittelbar durch Zwang herbeigeführt (Amtsablösung), so bei einigen Lasten in Bayern 1848, in Österreich 1853 und in andern Ländern, ferner in der neuern Zeit in einigen Ländern bei auf Schutzwaldungen lastenden Waldgrundgerechtigkeiten. Neubegründung von als ablöslich erklärten Berechtigungen ist in den meisten Ländern verboten, Erwerb derselben durch Verjährung gesetzlich ausgeschlossen.

Als Behörden zur Bearbeitung der Ablösungen und andrer Auseinandersetzungssachen sind in einigen Staaten die ordentlichen Verwaltungsbehörden, in andern die ordentlichen Gerichte bestellt, während in manchen Staaten, wie in Österreich, Preußen, Sachsen, Oldenburg, Braunschweig und in verschiedenen Staaten Thüringens, besondere Behörden (Auseinandersetzungsbehörden, Ablösungskommissionen) damit betraut sind. Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz (§ 14) hat diese besondern Gerichte, denn es handelt sich dabei auch um richterliche Entscheidungen, ausdrücklich beibehalten. In Preußen bestehen die kollegialischen Generalkommissionen (seit 1817), als deren Organe an Ort und Stelle Spezialkommissarien (Ökonomiekommissarien und Ökonomiekommissionsräte) fungieren. In einigen Provinzen fungieren statt der Generalkommissionen die Regierungen. Streitigkeiten, die erst durch das Ablösungsverfahren hervorgerufen werden, sind in erster Instanz von der Generalkommission, resp. da, wo die Regierung deren Funktionen wahrnimmt, von einem besondern Spruchkollegium zu entscheiden. In zweiter und letzter Instanz gehören sie vor das Oberlandeskulturgericht in Berlin. Nur in Streitigkeiten, die sich auf den der A. zu Grunde liegenden Rechtszustand selbst beziehen, ist eine dritte Instanz, das Reichsgericht in Leipzig, gegeben.

Realgewerberechte sind durch die deutsche Gewerbeordnung zum Teil aufgehoben worden. Dann wurde durch dieselbe die A. angeordnet für diejenigen Zwangs- und Bannrechte, soweit solche nicht bereits früher durch die Landesgesetzgebung verfügt war, bei denen die Verpflichtung auf Grundbesitz haftet, die Mitglieder einer Korporation als solche betrifft oder den Bewohnern eines Ortes oder Distrikts vermöge ihres Wohnsitzes obliegt (vgl. Bannrecht). Von wichtigen Ablösungsgesetzen andrer Länder sind hervorzuheben die österreichischen Patente vom 7. Sept. 1848 und vom 4. März 1849, ferner das Patent vom 5. Juli 1853 über die Regulierung und A. der Holz-, Weide und Forstprodukten-Bezugsrechte, die bayrischen Ge setze vom 7. Juni 1848 und vom 28. April 1872, das königlich sächsische Gesetz vom 17. März 1832 und die württembergischen Gesetze vom 14. April 1848 und 17. Juni 1849 etc. Vgl. Judeich, Die Grundenlastung in Deutschland (Leipz. 1863); Friedlieb, Rechtstheorie der Reallasten (Jena 1860); Danckelmann, A. und Regelung der Waldgrundgerechtigkeiten (Berl. 1880–88, 3 Tle.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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