Räude

Räude

Räude (Scabies, Grind, Rande, Krätze), die in ihrem Wesen der Krätze des Menschen entsprechende Hautkrankheit aller Haussäugetierarten. Die R. wird durch vier verschiedene Milbengattungen hervorgerufen: Sarcoptes (Grabmilben), Dermatocoptes (Saugmilben), Dermatophagus (Schuppenfresser) und Acarus (Haarbalgmilben). Es kommen vor: beim Pferde hauptsächlich Sarcoptes, daneben besonders Dermatocoptes, bei Schafen und Rindern Dermatocoptes, bei Ziegen, Schweinen und Kaninchen Sarcoptes, bei Katze und Hund Sarcoptes, daneben aber der verderbliche Acarus. Die bei den verschiedenen Haustierarten vorkommenden Milben gleicher Gattung gehören zum Teil derselben, zum Teil jedoch verschiedenen Arten an. Die Sarcoptes werden zwischen verschiedenen Tierarten und von allen Tieren auf den Menschen übertragen. Seltener wird der Mensch auch von Acarus, niemals von den andern Milben angesteckt. Die Sarcoptes sind (mikroskopisch) klein, kurzbeinig, graben sich in die Oberhaut ein und verbreiten sich weit über den Körper. Die Dermatocoptes sind mit bloßem Auge sichtbar, langbeinig und leben auf der Hautoberfläche, die sie anstechen; sie bevorzugen geschützte Stellen, breiten sich jedoch auch über den ganzen Körper aus. Die ebenfalls großen und langbeinigen Dermatophagen befallen nur bestimmte und beschränkt bleibende Körperstellen und nähren sich von Hautschüppchen. Sie verursachen die Fußkrätze, Fußräude beim Pferd, die Steißräude beim Rind, die Ohrräude bei Hund, Katze und Kaninchen. Acarus endlich, mit schmalem, wurmförmigem (mikroskopischem) Körper und kurzen Beinen, bohrt sich in die Haarbälge ein und ist hier für Vertilgungsmittel sehr schwer zu erreichen. Die Erscheinungen der R. sind bei den verschiedenen Haustieren und Milbenarten verschieden. Im allgemeinen entstehen Knötchen, Bläschen (Sarcoptes) oder Pusteln (Acarus), vermehrte Abschuppung, kleienartiger Belag, Borken, Verdickung der Oberhaut, Runzeln, überall Haarausfall sowie die Anzeichen und Wirkungen heftigen Juckreizes. Die Erscheinungen der R. haben jedoch vielfach große Ähnlichkeit mit den Symptomen andrer Hautkrankheiten (s. d.), von denen auch manche im Volksmund irrtümlich R. heißen. Die Feststellung der R. erfordert den Nachweis der Milben (Abschaben der Hautschuppen bis aufs Blut, momentanes Auskochen mit verdünnter Kalilauge und mikroskopische Untersuchung des entstandenen Breies). Die Behandlung der R. ist meist langwierig, oft schwierig und in hohen Graden unmöglich. Acarusräude ist nur bei geringer Ausdehnung ausnahmsweise heilbar. Mit Ausnahme der Dermatophagusräude breiten sich alle Formen, wenn keine energische Behandlung erfolgt, am Körper immer weiter aus. Daneben sind sie sehr ansteckend für Tiere derselben Art. Am meisten verbreitet ist die R. der Hunde, namentlich in den Städten. Man hüte seine Hunde vor jeder Berührung mit Hunden, die irgend eine Hautkrankheit zeigen, und lasse, wenn kahle Flecke sich zeigen, baldigst eine Untersuchung vornehmen. Die R. der Pferde und Schafe ist wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung unter das Viehseuchengesetz gestellt. Die befallenen Tiere, bez. Herden werden Sperrmaßregeln und einer zwangsweisen Behandlung unterworfen. Die Pferderäude ist nicht häufig, jährlich werden in Deutschland etwa 600 Fälle, namentlich in den Ostprovinzen, bekannt. Dagegen ist die Schafräude im Osten fast ausgerottet, im Westen aber noch sehr verbreitet, wenn auch gegen früher eingeschränkt. 1902 hat die Kopfzahl der von R. befallenen Schafherden in Deutschland 96,985, der in Preußen 69,873 und in der Provinz Hannover allein 35,132 betragen. Die verräudeten Herden werden einem polizeilich überwachten Badeverfahren (Creolinbäder und ähnliche) unterworfen. Daneben ist die Schmierkur (Einschmieren der erkrankten Hautstellen mit Salben) unter gewissen Bedingungen zugelassen. In den Räudegegenden werden die Schafherden unvermuteten amtstierärztlichen Revisionen unterzogen. – Auch beim Geflügel kommen verschiedene Arten von R. vor. Die sarcoptesähnliche Dermatoryctesmilbe ist am häufigsten beim Huhn und befällt ausschließlich die Füße, an denen Borken entstehen, so daß sie wie mit Kalk oder Lehm überzogen aussehen (Kalkbeine). Ein Dermatophagus befällt namentlich Hals und Brust. Die Vogelmilbe, Dermanyssus avium, macht keine R., sondern saugt Blut und bewirkt Blutarmut, selbst Tod. Sie kommt namentlich bei Hühnern und Tauben, aber auch bei Stubenvögeln vor und geht auch auf Pferde und Kühe über, wenn die Hühner nachts in deren Ställen sitzen. Vgl. Fürstenberg, Die Krätzmilben (Leipz. 1861); Friedberger u. Fröhner, Pathologie und Therapie der Haustiere (6. Aufl., Stuttg. 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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