Porträt

Porträt

Porträt (franz. portrait, Bildnis, griech. eikon), Abbildung eines Menschen, entweder in einem plastischen Werk (Porträtstatue,-Büste,-Relief) oder in einem Gemälde. Je nach der Größe des Bildes unterscheidet man in der Malerei Kopfstück, Brustbild, Hüftbild (halbe Figur), Kniestück (P. vom Kopf bis zum Knie) und ganzes P. Nach der Haltung oder Wendung der Figur, besonders des Kopfes, bezeichnet man das Bildnis als von vorn (en face) oder von der Seite genommen (en profil) oder als Halb- (Dreiviertel-) Profil oder als Profil perdu, wenn die Wendung noch tiefer in den Hintergrund hineingeht. Studienköpfe nennt man die skizzenhaft, mehr zur Übung ausgeführten, mehr oder weniger frei behandelten Bildnisse. Die Porträtkunst war bereits im höchsten Altertum, bei den Ägyptern, sehr entwickelt (s. unten), wie die hölzernen Gräberfiguren der Verstorbenen und einige Genrefiguren (s. Tafel »Bildhauerkunst I«, Fig. 1, 5 u. 6) beweisen. Bei den Griechen gelangte sie erst in der alexandrinischen Zeit zur höchsten Vollendung (vgl. Mumienbildnisse). Die Republiken verboten sogar die Porträtstatuen, um die Regungen der Eitelkeit zu unterdrücken. Vollendete Leistungen der jüngern Zeit sind z. B. die Sophoklesstatue des Lateranischen Museums (s. Tafel »Bildhauerkunst III«, Fig. 8) und einige Alexanderköpfe. Auch Idealporträte, frei nach dem Wesen des betreffenden, dem Künstler nicht persönlich bekannten Individuums erfundene Charaktertypen, wußte die griechische Kunst meisterhaft zu gestalten (Statuen und Köpfe des Homer, Äsop etc.). Mit Lysippos und seinem Bruder Lysistratos, der zuerst Gesichtsmasken nach dem Leben abformte, drang die realistische Auffassung in die Porträtkunst ein, die von den Römern in virtuoser Weise ausgebildet wurde (Augustusstatue des Vatikanischen Museums [s. Tafel »Bildhauerkunst VI«, Fig. 6], Köpfe des Caracalla, Hadrian). Jetzt wurde neben der altgriechischen Porträtherme auch die in alexandrinischer Zeit erfundene Porträtbüste (s. Büste) weiter ausgebildet. Im spätern Mittelalter erwachte das P. zuerst in der Grabplastik zu neuem Leben. Unbedingte Naturtreue zeigen dann die Ölbildnisse von Jan van Eyck und seiner Schule. Auch in der italienischen Renaissance fiel den Bildhauern (Mino da Fiesole, Desiderio da Settignano, Rossellino u. a.) eine bedeutende Rolle in der Ausbildung zu naturalistischer Lebenstreue zu. Von den Malern des 15. Jahrh. sind Ghirlandajo, Botticelli, Antonello da Messina an erster Stelle zu nennen. Zur höchsten Blüte wurde das P. dann durch Leonardo da Vinci, Raffael, Sebastiano del Piombo, Tizian, Tintoretto gebracht, bei denen das ganze Wesen des Dargestellten im Moment der höchsten Steigerung zum Ausdruck gelangt. Schlichter, aber ungemein sein in der Charakterisierung und der Durchbildung der Einzelheiten sind die Bildnisse eines Dürer und Holbein. Im 17. Jahrh. traten besonders die Niederländer Rubens, van Dyck, Frans Hals, Rembrandt und der Spanier Velazquez hervor. Die niederländische Malerei brachte auch die sogen. Konversationsstücke und die Doelen- (Schützen-) und Regentenstücke auf, in denen die Porträtierten zu freien Gruppen bedeutungsvoll verbunden wurden. Seit dem 17. Jahrh. ist die Porträtbildnerei so sehr in den Vordergrund getreten, daß kein Figurenmaler oder Bildhauer von Bedeutung sich ihr entzogen hat. Von bevorzugten Porträtmalern der neuern Zeit sind die Franzosen David, Gérard, Ingres, Bonnat, Carolus-Duran, Benjamin-Constant, Besnard, die Deutschen Winterhalter, Magnus, G. Richter, Angeli, Lenbach, die Engländer Reynolds, Gainsborough, Lawrence, Millais, Watts, Ouleß, Herkomer, die Amerikaner Whistler und Sargent, der Schwede Zorn, der Däne Kröyer, die Ungarn Horowitz und Laszlo und der Pole Pochwalski zu nennen.

Sammlungen von Porträten berühmter Personen des griechischen und römischen Altertums, namentlich von Büsten und geschnittenen Steinen, sind schon im Anfang der Renaissancezeit in Italien angelegt worden. Von da verbreitete sich diese Liebhaberei nach dem Norden, und im 16. Jahrh. fertigten Kupferstecher und Holzschneider bereits ganze Reihen von Bildnissen geschichtlicher Personen der Vergangenheit und hervorragender Zeitgenossen an. Die künstlerisch bedeutendste Sammlung dieser Art ist die »Ikonographie« des van Dyck (s. d., um 1630–1640). In neuerer Zeit ist das Sammeln von Porträten und ihre wissenschaftliche Bearbeitung wieder sehr in Aufnahme gekommen. Vgl. Visconti, Iconographie grecque (Par. 1808, 3 Bde.) und Iconographie romaine (das. 1818–33, 4 Bde.); Bernouilli, Römische Ikonographie (Stuttg. 1882–1894, 3 Tle.); Winter, Über die griechische Porträtkunst (Berl. 1894); »Allgemeines historisches Porträtwerk« (von 1300–1840, hrsg. von W. v. Seidlitz, Münch. 1893–97); Marquet de Vasselot, Histoire du portraiten France (Par. 1880); Pinset und d'Auriac, Histoire du portraiten France (das. 1884); Imhof-Blumer, Porträtköpfe auf römischen Münzen (Leipz. 1879) und auf antiken Münzen hellenischer und hellenisierter Völker (das. 1885); Lehmann, Das Bildnis bei den altdeutschen Meistern bis auf Dürer (das. 1900); I. Burckhardt, Das P. in der Malerei (in den »Beiträgen zur Kunstgeschichte in Italien«, Basel 1898); Williamson, History of portrait miniatures (Lond. 1904, 2 Bde.); I. Collier, The art of portrait painting (das. 1905); Leisching, Das Bildnis im 18. und 19. Jahrhundert (Wien 1906); die Porträtkataloge von Drugulin (Leipz. 1859–60, 2 Bde.) und Lutz (Hanau 1887 ff.). – Über das Recht am photographischen P. s. Photographie, S. 834.

Literarisches P. heißt die Darstellung eines Menschen in Worten. Während beim ikonographischen P. (dem P. schlechthin) aus der körperlichen Erscheinung Schlüsse auf das geistige Wesen gezogen werden müssen, ist umgekehrt beim literarischen P. Intellekt, Gemüt und Charakter das Primäre, hinter dem der Körper zurücktritt. Erst die Vereinigung beider Porträtarten erschöpft das Bild einer Person. Gegenstand des literarischen Porträts im eigentlichen Sinne sind historische Personen in ihrem wirklichen Wesen, im weitern Sinn Idealtypen. Demnach sind Biographie, wo es Selbstzweck ist, und Geschichte, wo es sich der Generalidee unterzuordnen hat, sein eigentliches Feld, an das Epos, Drama, Roman etc. angrenzen. Das Ziel ist größtmögliche Ähnlichkeit und erschöpfende Wiedergabe aller wesentlichen und charakteristischen Eigenschaften. Psychologisch und historisch sind vier Entwickelungsstufen unterscheidbar: 1) die typisch-deduktive: der Porträtierte erscheint zunächst als Repräsentant seines Standes fast ohne Individualität; 2) die physisch-induktive: der Körper wird zuerst individuell erfaßt; 3) die psychischinduktive: die häufig widerspruchsvollen einzelnen Handlungen werden individuell erfaßt und motiviert. Dies Verfahren führt bei fortschreitender Analysierung der Seele zur 4) Stufe, auf der das Wesen deterministisch und organisch aus den aufgedeckten Grundtrieben der Psyche aufgedeckt wird. Das Altertum hat auf dem Gebiete des literarischen Porträts Vollendetes geschaffen, besonders durch die Griechen Platon, Isokrates und Xenophon, dessen »Agesilaos« die erste eingehende Charakteristik einer Menschenseele genannt werden darf, und durch den Römer Tacitus. Aus der Verfallzeit und dem Mittelalter ragen nur Einhard, der Biograph Karls d. Gr., und Dante hervor. Der Aufschwung begann erst mit den Humanisten, besonders Pius II., mit dem unbekannten Verfasser der »Vita Alberti« und mit Machiavelli. Seitdem dürfte von Männern wie Ranke, Mommsen oder Bourget wieder die Höhe griechischer Seelenanalyse und Darstellungskunst erreicht sein. Vgl. Ivo Bruns, Das literarische P. der Griechen (Berl. 1896); M. Kemmerich, Die Charakteristik bei Machiavelli (Leipz. 1902) und Zur Entwickelungsgeschichte des literarischen Porträts (in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 1903, Nr. 214 ff.); J. Fürst, Die literarische Porträtmanier im Bereich des griechisch-römischen Schrifttums (Leipz. 1902); Kircheisen, Die Geschichte des literarischen Porträts, Bd. 1 (das. 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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