Murmeltier

Murmeltier

Murmeltier (Arctomys Gmel.), Nagetiergattung aus der Familie der Eichhörnchen (Sciuridae), gedrungen gebaute Tiere mit kurzen Beinen, stumpfer, kurzer Schnauze, abgerundeten, kurzen, im Pelz versteckten Ohren, großen, zum Graben geschickten Krallen und kurzem, von der Wurzel an buschig behaartem Schwanz. Das Alpenmurmeltier (A. marmota Schreb., s. Tafel »Nagetiere IV«, Fig. 5) ist 50 cm lang, mit 11 cm langem Schwanz, am Widerrist 15 cm hoch, dicht und ziemlich lang, am Kopfe glatt anliegend, an den übrigen Körperteilen locker und hinter den Wangen lang behaart, so daß diese wie angeschwollen erscheinen. Die Oberseite ist mehr oder weniger braunschwarz, auf dem Scheitel und Hinterkopf mit einigen hellern Punkten; Nacken, Schwanzwurzel und Unterseite sind dunkel rötlichbraun, Schnauze und Füße rostgelblich-weiß. Das M. lebt auf den Matten der Alpen, Pyrenäen und Karpathen dicht unter der Grenze des ewigen Schnees. An vom Verkehr der Menschen entfernt liegenden, freien, ringsum von steilen Felswänden umgebenen sonnigen Plätzen und in engen Gebirgsschluchten gräbt es sich Höhlen für den Sommer, umfangreichere, tiefere, oft weit unter der obern Baumgrenze liegende und für eine Familie aus 5–15 Köpfen berechnete für den Winter, in denen es zwei Drittel des Jahres verschläft. Zu den Sommerwohnungen führen lange Gänge mit Verzweigungen und Fluchtlöchern. In dem wenig geräumigen Kessel findet wahrscheinlich im April die Paarung statt. Das Weibchen wirft nach 6 Wochen 2–4 Junge, die den Sommerbau der Alten bis zum nächsten Sommer bewohnen. Die Mündung der Winterwohnung wird gut mit Heu, Erde und Steinen von innen verstopft. Innen, oft 8–10 m bergwärts, befindet sich ein weiter Kessel, der mit kurzem, weichem Heu angefüllt ist und als gemeinsames Lager für den Winterschlaf dient. Das M. nährt sich von frischen, saftigen Alpenpflanzen und Wurzeln. Es trinkt selten, aber viel auf einmal. Es gibt einen pfeifenden Ton von sich, der Witterungsveränderungen anzeigen soll. Wie die meisten Winterschläfer, sind die Murmeltiere im Spätsommer und Herbst ungemein fett; sobald aber der erste Frost eintritt, fressen sie nicht mehr, trinken nur noch, entleeren sich und beziehen familienweise die Winterwohnungen, in denen die Temperatur sich auf 10–11° erhält. Sie liegen hier dicht beieinander, den Kopf am Schwanz, regungslos und kalt und in der Stunde erfolgen nur 15 Atemzüge. Während des Winterschlafs ist die funktionelle Tätigkeit und der Gewebeverbrauch auf die kleinsten Werte reduziert, die Wärmebildung ist gleich Null, das Leben gewissermaßen suspendiert. Nimmt man ein M. im Winterschlaf aus seiner Höhle und bringt es in größere Wärme, so gibt sich erst bei 21°Wärme ein deutliches Atmen kund; bei 25° beginnt es zu schnarchen, bei 28° streckt es seine Glieder, bei 31° erwacht es, bewegt sich taumelnd, wird nach und nach munterer und fängt an zu fressen. Im Frühjahr erscheinen die Murmeltiere in sehr abgemagertem Zustand vor den Öffnungen der Winterwohnungen und nähren sich anfangs von dem überwinterten Gras, bis die jungen Alpenpflanzen ihnen besseres Futter gewähren. Man fängt die Murmeltiere in Fallen oder gräbt sie zu Anfang des Winters aus. Die Alpenbewohner genießen das Fleisch und benutzen es auch, wie das Fett und den Balg, bei mancherlei Krankheiten. In der Gefangenschaft werden halbwüchsige Murmeltiere bald zahm, lassen sich abrichten und ergötzen durch ihr possierliches Wesen. Ehemals wurden sie von den Savoyardenknaben mit umhergeführt und zu einfachen Schaustellungen in Städten und Dörfern benutzt. Im warmen Zimmer verfallen sie nicht in einen Winterschlaf; im kalten bauen sie sich aus verschiedenem Material ein Nest und schlafen, aber mit Unterbrechung. Selbst bei guter Pflege dauern sie in der Gefangenschaft selten über 5–6 Jahre aus. Das Pelzwerk ist von geringem Wert. – Der Bobak (A. bobac Schreb., Fig. 6), 37 cm lang, mit 9 cm langem Schwanz, ist fahl rostgelb, auf der Oberseite etwas dunkler, auf dem Kopf bräunlich rostgelb, am Schwanz dunkel rostgelb, an der Schwanzspitze schwarzbraun, bewohnt das südliche Polen und Galizien, Südrußland und das südliche Sibirien bis zum Amur und Kaschmir. Er lebt gesellig in der Ebene und in Niederungen und bildet große Siedelungen, in denen sich Hügel an Hügel reiht, die durch Aufhäufen des aufgewühlten Erdreichs entstanden sind. Das Lager liegt 5–7, selbst 14 m von der Eingangsöffnung in dem unterirdischen Bau. Der Bobak nährt sich von Kräutern und Wurzeln und trägt großen Wintervorrat ein. Er zieht sich bald zurück, führt noch eine Weile im Bau ein Halbleben, erstarrt dann und erwacht im Frühjahr sehr zeitig. Im April oder Mai werden die Jungen geboren. Adler und Wolf rauben viele Bobaks, aber auch Tungusen und Buräten jagen die feisten Tierchen, deren Fleisch schmackhaft ist. Die Felle sind kurz- und straffhaarig, werden selten naturell, vielmehr gefärbt als Imitation von Nerz zu Muffen, Kragen, Jäckchen und Mützen verarbeitet. Die schwarz gefärbten Felle haben auffallenden Glanz. In Sibirien hält man die Bobaks für verzauberte Schützen, die den bösen Geist durch Übermut erzürnt hatten.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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