Kirchenhoheit

Kirchenhoheit

Kirchenhoheit (Jus circa sacra), der Inbegriff der dem Staat über alle Kirchengesellschaften innerhalb des Staatsgebietes zustehenden Hoheitsrechte. Sie ergibt sich mit Notwendigkeit aus dem Wesen der Staatsgewalt als der innerhalb des Gebietes schlechthin höchsten Willensmacht, welche die rechtliche Stellung aller Individuen und gesellschaftlichen Organisationen regelt. Als Bestandteil der allgemeinen Staatshoheit hat die K. auch ihre Grenze im Staatszweck, der nach heutiger Auffassung vom Kirchenzweck prinzipiell verschieden ist. Demgemäß beschränkt sich die K. im modernen Staat (im Gegensatz zur Kirchengewalt) grundsätzlich auf die sogen. sacra externa, d. h. die rein weltlichen oder doch das bürgerliche Gebiet mit berührenden Angelegenheiten, während die innerhalb der Sphäre der Kirchengemeinschaft liegenden Verhältnisse ihr völlig freigegeben sind. Die K. betätigt sich formell, wie die Staatshoheit überhaupt, in der dreifachen Funktion, Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Inhaltlich löst man die K. gewöhnlich auf in 1) das Aufnahmerecht (Jus receptionis, Jus reformandi, s. d.); 2) das Schutz- und Schirmrecht über die Kirchen (Jus advocatiae [s. d.], Jus protectionis); 3) das Recht der Oberaufsicht (Jus supremae inspectionis, Jus cavendi), mittels dessen der Staat namentlich etwaigen Übergriffen der Kirche entgegentritt. In letzterer Hinsicht ist besonders das landesherrliche Plazet, d. h. die staatliche Zustimmung zu kirchlichen Gesetzgebungsakten, von Wichtigkeit. Hierher gehören ferner der Recursus ab abusu (Appel comme d'abus), d. h. das Rechtsmittel der Berufung an die Staatsbehörde wegen Mißbrauchs der geistlichen Gewalt, ferner die Mitwirkung bei der Besetzung geistlicher Stellen und die Kontrolle der geistlichen Disziplinargerichtsbarkeit. Die evangelische Kirche erkennt die K. grundsätzlich, die katholische Kirche lehnt sie wegen des von ihr behaupteten höhern Ursprungs ebenso grundsätzlich ab und nimmt für sich die souveräne Grenzbestimmung zwischen Staat und Kirche in Anspruch (s. Kirchenpolitik). Vgl. Hinschius, Staat und Kirche (in Marquardsens »Handbuch des öffentlichen Rechts«, Bd. 1, Freiburg 1883); Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik (Bd. 1, das. 1894).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kirchenhoheit — Kirchenhoheit, s.u. Kirchenrecht IV …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Kirchenhoheit — Die Kirchenhoheit ist die Summe der Hoheitsrechte über Religions und Weltanschauungsgemeinschaften (iura circa sacra). Von ihr wird die interne kirchliche Leitungsgewalt unterschieden (kirchliches Selbstbestimmungsrecht, sog. Kirchengewalt, iura… …   Deutsch Wikipedia

  • Kirchenhoheit — Kịr|chen|ho|heit 〈f. 20; unz.〉 die dem Staat über die Kirche seines Territoriums zustehenden Rechte * * * Kịr|chen|ho|heit, die: Recht (des Staates), sich in bestimmte, äußere Angelegenheiten einer ↑ Kirche (4) einzumischen. * * *… …   Universal-Lexikon

  • Kirchenpolitik — Kirchenpolitik, bedeutet den Inbegriff der Grundsätze, von denen sich der Staat bei Gestaltung der Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Kirche leiten läßt. Die vorchristliche Zeit kannte keine vom Staatsleben gesonderte kirchliche Gemeinschaft… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Heinrich der Löwe — Krönungsbild aus dem Evangeliar Heinrichs des Löwen. In der oberen Bildhälfte Christus, der ein Schriftband mit Bibeltext entrollt. Die weiteren Personen sind Apostel, Heilige und Erzbischöfe. In der unteren Bildhälfte reichen zwei gekreuzte… …   Deutsch Wikipedia

  • Toleranz — Toleranz, auch Duldsamkeit,[1] ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.[2] Gemeint ist damit heute häufig auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung unterschiedlicher Individuen.[3]… …   Deutsch Wikipedia

  • Toleranz — (v. lat.), 1) im Allgemeinen so v.w. Duldung; bes. 2) die in Bezug auf religiöse u. kirchliche Gesinnungen u. Rechte Seitens einer öffentlichen, d.h. Staats od. Kirchengewalt geübte Duldung. So lange der religiöse Glaube etwas rein Innerliches… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Heinrich — Hein|rich 〈m. 1; unz.; Bot.〉 Guter Heinrich Gänsefuß mit breiten, dreieckigen, spießförmigen Blättern: Chenopodium bonushenricus * * * Hein|rich: in den Wendungen den flotten H. haben (salopp; Durchfall haben); den müden H. spielen/auf müden H.… …   Universal-Lexikon

  • Ottonen: Kaisertum zwischen Aachen und Rom —   Das sakrale Königtum Ottos des Großen   Nachdem nun also der Vater des Vaterlandes und der größte und beste der Könige, Heinrich, entschlafen war, da erkor sich das ganze Volk der Franken und Sachsen dessen Sohn Otto, der schon vorher vom Vater …   Universal-Lexikon

  • Samuel von Pufendorf — Baron Samuel von Pufendorf (January 8, 1632 ndash; October 13, 1694) was a German jurist, political philosopher, economist, statesman, and historian. His name was just Samuel Pufendorf until he was ennobled in 1684; he was made a Freiherr (baron) …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”