Chīos

Chīos

Chīos (türk. Sakiz-Adasi, »Mastixinsel«), türk. Insel im Ägäischen Meer, südlich von Lesbos, durch eine 7 km breite Straße von Kleinasien getrennt (s. Karte »Griechenland«). Die 827 qkm große Insel ist von Bergen durchzogen (darunter im N. der St. Eliasberg, der Pellinäos der Alten, 1260 m), zwar magern Bodens, aber gut angebaut. Das Klima ist mild; mittlere Jahrestemperatur 19,8°. Erdbeben sind nicht selten (1881 kamen durch ein solches 3558 Menschen um, und Eigentum im Werte von 60–80 Mill. Mk. wurde zerstört). Aus den Bergen brach man schon im Altertum berühmten bleifarbigen Marmor mit weißen Adern und vorzüglichen Töpferton; in jüngster Zeit bearbeitet man Gruben, die Antimonglanz und Ocker liefern. Die Tierwelt ist arm; Ziegen werden in großen Herden gehalten, außerdem Esel und Maulesel, wenig Kühe und Pferde. Die Seidenraupenzucht erzielt jährlich 5000 Ztr. Kokons (nach Lyon), auch werden Seidengewebe gefertigt. Ausgeführt werden Leder (1899 für 14,4 Mill. Mk.), Mastix, Branntwein, Anis, Orangen und Zitronen, Mandeln und Johannisbrot; die Einfuhr (1899 für 13,1 Mill. Mk.) umfaßt Häute (8 Mill. Mk.), Bauholz, Alkohol, Reis, Zucker, Kaffee, Getreide. Die Bewohner, etwa 59,600 (vor dem Blutbad von 1822 weit über 100,000), sind fast sämtlich Griechen. Die Hauptstadt C. (Kastro) hat ein Kastell, einen Hafen mit zwei Leuchttürmen und 14,250 Einw. Der Handel ist im Rückgang (1899 liefen 839 Schiffe von 635,854 Ton. ein). Die Stadt ist zugleich Hauptstadt des Liwa Sakis, Sitz eines griechischen Erzbischofs und mehrerer Konsuln, darunter eines deutschen. Nicht weit davon das prächtige, 1040 von dem Kaiser Konstantin Monomachos und seiner Gemahlin Zea erbaute Kloster Nea-Moni. Die sogen. Schule des Homer, wo der Sänger seine Schüler um sich versammelt haben soll, befindet sich am Fuße des Berges Epos, wohl ein uraltes Heiligtum der Kybele. Der Tragiker Ion, der Historiker Theopompos, der Geograph Skymnos, der Sophist Theokritos hatten C. zum Vaterland. C. besaß die ersten Hypothekenbücher und war namentlich Sitz des griechischen Sklavenhandels.

Als die ältesten Bewohner von C. werden Leleger und Pelasger, dann Kreter, Karier und Abanten genannt. Später trat C. dem Ionischen Bunde bei und gelangte in ihm zu großer Blüte; es erhob auch auf Homer als Landsmann Anspruch. Aber als sich die Perser über Kleinasien ergossen und auch die hellenischen Kolonien bedrängten, ergab sich C. 546 v. Chr. Kyros sogar ohne Schwertstreich. Dagegen nahmen die Chier 500 an der von Aristagoras geleiteten ionischen Empörung gegen die Herrschaft der Perser lebhaften Anteil und fochten bei der Insel Lade auf 100 Schiffen für die gemeinsame Freiheit mit großer Tapferkeit, kamen aber dann wieder unter die Gewalt der Perser. Nach der Schlacht bei Mykale (479) trat die Insel dem Seebunde der Athener bei, zu dessen mächtigsten und angesehensten Bundesgenossen die Chier gehörten, bis sie sich 413 den Spartanern zuwandten. Lange schwankten sie, je nach der Übermacht der aristokratischen oder demokratischen Partei, zwischen ihnen und den Athenern hin und her und litten schwer unter den Angriffen und Verwüstungen der jedesmaligen Gegner; schließlich mußte Athen nach dem Bundesgenossenkrieg 355 ihre Unabhängigkeit anerkennen. Danach hatte C. mit den karischen Fürsten zu kämpfen, dann mit Makedonien, mit Antiochos von Syrien; besser gestaltete sich ihre Lage unter den Römern, die sie für ihre Unterstützung in dem letzten Krieg zum Freistaat erklärten, und auch der Gunst der Kaiser durften sie sich erfreuen. Als Bestandteil des oströmischen Reiches teilte die Insel alle Drangsale desselben. 1307 eroberten und verwüsteten türkische Seeräuber die Insel, bald darauf Bajesid. In der Folge war C. geraume Zeit im Besitz der Genuesen, seit 1566 in dem der Türken. Im griechischen Befreiungskrieg erhoben sich auch die Chier im Februar 1821 gegen ihre Herrschaft, unterlagen aber, und der türkische Kapudan-Pascha verhängte über C. im April 1822 ein furchtbares Strafgericht: 23,000 Einwohner wurden ermordet, 47,000 in die Sklaverei verkauft; nur 5000 entkamen. Ebenso mißglückte der Versuch eines griechischen Hilfskorps unter Fabvier, die Insel zu befreien (1827), und sie wurde bei Errichtung des griechischen Königreichs von dessen Grenzen ausgeschlossen. Am 3. April 1881 wurde die Stadt durch Erdbeben fast zerstört. Vgl. Eckenbrecher, Die Insel C. (Berl. 1845); Pauli, Die Insel C. (in den »Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg«, 1880–81); Pernot, En pays turc. L'île de Chio (Par. 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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